Maurice de Vlaminck (1876–1958)



Fotograf/Fotografin unbekannt; aus: MAURICE DE VLAMINCK. 1876–1958, Ausst.-Kat. Atelier Grognard, Rueil-Malmaison 2015, S. 6


Maurice de Vlaminck ist der Sohn eines aus Flandern stammenden Violinisten und einer Pianistin und wird im Quartier des Halles in Paris geboren, wo der Vater einen kleinen Laden mit Musikinstrumenten betreibt. Beide Eltern haben Musikschüler und unterrichten auch die eigenen Kinder. Ein Leben als Musiker und Komponist scheint vorgezeichnet, doch Vlaminck interessiert sich mehr für Bücher und liest viel. Als die Eltern das Leben in Paris nicht mehr finanzieren können, zieht die Familie 1879 zur Großmutter mütterlicherseits nach Vésinet, westlich der französischen Hauptstadt: Nach deren Tod zwölf Jahre später und dem Verkauf des Hauses mieten sie beim Maler Jules Robichon (1839–1914) eine Unterkunft. Er erteilt Vlaminck erste Stunden im Malen und Zeichnen.

Vlaminck, der schon begeistert Hochrad gefahren war, erhält zu seinem 15. Geburtstag ein Fahrrad mit aufblasbaren Gummireifen. Als junger Erwachsener beteiligt er sich an Wettkämpfen und verdient später damit und der Beteiligungen an Regatten und bei Boxwettkämpfen einen Teil seines Lebensunterhalts. 1896 zieht die Familie ins benachbarte Chatou, Vlaminck Ende des Jahres frisch verheiratet nach Nanterre, das wieder näher an Paris liegt. Eine Typhusinfektion beendet seine halbprofessionelle Sportlerkarriere. 1898 wird Vlaminck zum Militärdienst in der Bretagne eingezogen. Den größten Teil seines Dienstes kann er als Militärmusiker ableisten. In seiner freien Zeit schreibt er seinen ersten Roman, viele weitere Artikel und Bücher folgen über die Jahre. Dem Alltag als Soldat begegnet Vlaminck mit Argwohn, stattdessen wächst seine Sympathie für anarchistisches Gedankengut.

Kurz vor Ende seiner Militärzeit trifft Vlaminck auf einer Zugfahrt André Derain (1880–1954) und eine enge lebenslange Freundschaft beginnt. Nach seiner Entlassung mieten beide ein gemeinsames Atelier auf der Seineinsel von Chatou. Seinen Lebensunterhalt verdient Vlaminck nun nachts als Violinist in Cabarets und Musikcafés sowie im Théâtre de Château d’eau. Die Tage nutzt er für seine Malerei. 1901 besucht er die van-Gogh-Ausstellung bei Bernheim-Jeune in Paris und ist tief beeindruckt. Über Derain lernt er Henri Matisse (1869–1954) kennen. Als auch Derain zur Armee eingezogen wird, kann Vlaminck sich das Atelier nicht mehr leisten. Seine finanzielle Situation verschlechtert sich und er gibt zusätzlich zu seinen Auftritten Violinunterricht.

1902 zieht Vlaminck nach Rueil auf das andere Ufer der Seine. Im Folgejahr lernt er Guillaume Apollinaire (1880–1918) kennen und freundet sich mit ihm an. Nach Derains Rückkehr vom Militär 1904 arbeitet er wieder mit ihm in einem gemeinsamen Atelier in Chatou. Im Jahr darauf stellt er erstmals auf dem Salon des Indépendants in Paris aus und verkauft dort sein erstes Bild. Die Kritik verspottet seine Kunst, doch Vlaminck lässt sich nicht beirren. Er beginnt mit drei afrikanischen Skulpturen, die er in einem Café in Argenteuil entdeckt, seine Afrikasammlung. Im legendären Atelierhaus Bateau Lavoir auf dem Montmartre trifft Vlaminck Pablo Picasso (1881–1973), Max Jacob (1876–1944), Kees van Dongen (1877–1968) und weitere Mitglieder der Pariser Bohème.

Im Herbst 1905 nimmt Vlaminck am Pariser Salon d’Automne teil. Seine Gemälde werden im Saal VII gemeinsam mit Werken von Matisse, Derain und anderen jungen Künstlern gezeigt, die vom Kunstkritiker Louis Vauxcelles (1870–1943) aufgrund ihrer Verwendung von reinen, ungemischten Farben als »Fauves« (dt. wilde Bestien) geschmäht werden. Ein Begriff, unter dem diese Künstler in die Kunstgeschichte eingehen, obwohl die Protagonisten selbst die Bezeichnung ablehnen. Berthe Weill (1865–1951) zeigt Ende des Jahres eine Ausstellung dieser Künstler in ihrer Galerie. Der Kunsthändler Ambroise Vollard (1865–1939) kauft Bilder Vlamincks. Anfang 1906 erwirbt Vollard fast alle Leinwände in Vlamincks Atelier und sichert sich eine Option auf dessen zukünftige Produktion. Das verbessert schlagartig Vlamincks prekäre finanzielle Situation, so dass er die Auftritte als Musiker aufgeben kann. Vollard bringt ihn auch mit dem Keramiker André Metthey (1871–1920) zusammen. In den Folgejahren stellt er neben seinen Gemälden auch immer wieder Keramiken aus. Vlaminck fertigt außerdem für das Modehaus Paul Poiret Knöpfe und Gürtelschnallen. Er baut und dekoriert die Möbel seines Hauses, für sich selbst entwirft er Holzkravatten.

Ab 1907 ist Vlaminck auch international immer öfter auf Ausstellungen vertreten. Daniel Henry Kahnweiler (1884–1979) wird in diesem Jahr auf dem Salon d’Automne auf den Künstler aufmerksam und kauft erste Bilder von ihm. Ab 1909 stellt er ihn in seiner Galerie aus. 1911 reist Vlaminck erstmals nach London. 1912 sind seine Werke auf der Ausstellung des »Blauen Reiter« in München, in der Berliner Galerie der Sturm und auf der Sonderbundausstellung in Köln zu sehen. Im Jahr darauf nimmt er an der New Yorker ARMORY SHOW und an einer Ausstellung der Künstlervereinigung »Karo Bube« in Moskau teil. 1913 ist auch das Jahr, in dem Kahnweiler mit Vlaminck einen zweijährigen Exklusivvertrag abschließt.

1914 zieht Vlaminck seineabwärts nach Bougival. Er stellt in der Galerie Emil Richter in Dresden aus. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird er mobilisiert, bleibt aber in einem Reserveregiment und arbeitet in einer Munitionsfabrik. Als die Bestände der Galerie Kahnweiler wegen der deutschen Herkunft ihres Inhabers als feindliches Eigentum beschlagnahmt werden, sind auch viele Werke Vlamincks darunter. Nach dem Krieg zieht Vlaminck nach Valmondois, nördlich von Paris, schließlich nach Auvers, wenige Kilometer weiter. Er lernt den Schriftsteller Georges Duhamel (1884–1966) kennen für den er später einige Illustrationen fertigt.

Die Galerie Eugène Druet in Paris präsentiert 1919 eine große Ausstellung mit Vlamincks Werken. In Düsseldorf zeigt Alfred Flechtheim (1878–1937) seine Kunst. 1922 wird dem Maler seine erste Einzelausstellung in New York, in den Brummer Galleries, ausgerichtet. 1925 erwirbt Vlaminck den Hof La Tourillière in Reuil-la-Gadelière nordwestlich von Chartres, wo er fortan leben wird. Das Musée du Luxembourg kauft eines seiner Gemälde an. 1927 veröffentlicht Duhamel eine Monografie über Vlaminck, zwei Jahre später der Schriftsteller und Journalist Florent Fels (1891–1977) eine Biografie. 1933 präsentiert die Galerie Bernheim-Jeune eine Retrospektive des Künstlers. Eine sehr viel umfangreichere folgt im Palais des Beaux Arts in Brüssel.

1939 steht Vlaminck dem »Banquet des Vitalistes« vor, einer Künstler-Veranstaltung auf der sowohl die antisemitischen Pamphlete Louis-Ferdinand Célines (1894–1961) gegen ein vom Senat angedrohtes Verbot verteidigt werden, als auch ein Porträt Adolf Hitlers (1889–1945) verbrannt wird, in Reaktion auf dessen Verdammung der modernen Kunst als »entartet«. Dessen ungeachtet nimmt Vlaminck 1941 neben anderen französischen Künstlern und dem Direktor der École des Beaux Arts, Paul Landowski (1875–1961), an der von Arno Breker (1900–1919) beworbenen und von der deutschen Propagandastaffel organisierten zweiwöchigen Kunstreise nach Deutschland teil, was ihm nach der Befreiung kurzzeitig Arrest und den Vorwurf der Kollaboration einbringt.

1952/53 dreht die Sängerin, Schauspielerin und Autorin Marianne Oswald (1901–1985) für das französische Fernsehen den Film VLAMINCK ET LA TERRE. Im Jahr darauf stellt der Künstler auf der Biennale von Venedig aus. 1955 wird er Mitglied der Académie Royale de Belgique. 1956 wird ihm in der Galerie Charpentier in Paris zu seinem 80. Geburtstag eine Retrospektive ausgerichtet. Vlaminck stirbt auf seinem Anwesen La Tourillière und ist in Reuil-la-Gadelière beerdigt. Seine jüngste Tochter Godelieve (*1927) gründet 2018 die Stiftung Fonds de Donation Maison Vlaminck.

RK

24.01.2022
ZEITGENÖSSISCHE FRANZÖSISCHE GRAPHIK, Galerie Buchheim-Militon, Frankfurt am Main, 1950/51
INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG DES SONDERBUNDES WESTDEUTSCHER KUNSTFREUNDE UND KÜNSTLER ZU CÖLN, Ausst.-Kat. Städtische Ausstellungshalle am Aachener Tor, Köln (25.05.–30.09.1912)

Daniel Henry [Kahnweiler]: MAURICE DE VLAMINCK, Einbandentwurf v. Karl Schmidt-Rottluff, Leipzig: Verlag von Klinkhardt & Biermann, 1920 (Junge Kunst, Bd. 11)

Florent Fels: »Vlaminck«, in: DAS KUNSTBLATT, hrsg. v. Paul Westheim, 6. Jg., H. 2 (Februar), Potsdam: Gustav Kiepenheuer, 1922, S. 78–83

Léon Werth: VLAMINCK, Paris: Éditions Bernheim-Jeune, 1925

Robert Frey: MAURICE DE VLAMINCK. GEBOREN 1876, München, Wien, Basel: Verlag Kurt Desch, 1956 (Welt in Farbe: Taschenbücher der Kunst)

Marcel Sauvage: VLAMINCK. SA VIE ET SON MESSAGE, Genève: Éditions Pierre Cailler, 1956 (Peintres et sculpteurs d'hier et d'aujourd'hui, Bd. 40 / Les grandes monographies, Bd. 4)

BEAUX ARTS MAGAZINE. VLAMINCK AU MUSÉE DU LUXEMBOURG, Boulogne-Billancourt: TTM Group, 2008

VLAMINCK. UN INSTINCT FAUVE, m. Texten v. Maïthé Vallès-Bled, Itzhak Goldberg, Isabelle Monod-Fontaine, Jacqueline Munck, Gérard Landrot, Pierre Amrouche, Ausst.-Kat. Paris: Musée du Luxembourg (20.02.–20.07.2008), Mailand: Skira editore, 2008

Maïthé Vallès-Bled: MAURICE DE VLAMINCK (1876–1958). LA PÉRIODE FAUVE/THE FAUVE PERIOD 1900–1907, Paris: Wildenstein Institute Publications, 2008

VLAMINCK. LES ANNÉES DÉCISIVES (1900–1914), m. Texten v. Jean-Paul Monery, Ausst.-Kat. L'Annonciade, musée de Saint-Tropez (06.07.–14.10.2013), Courtrai: Éditions Snoeck, 2013

MAURICE DE VLAMINCK. 1876–1958, m. Texten v. Véronique Alemany, Ausst.-Kat. Atelier Grognard, Rueil-Malmaison (30.01.–25.05.2015), Colombelles: Éditions du Valhermail, 2015

Jean Selz: VLAMINCK, Köln, Mailand: Uffici Kunstverlag, o. J.

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