Waldlandschaft
Maurice de Vlaminck
1913
Öl auf Leinwand
Bildmaß 66,0 x 81,0 cm
Rahmenmaß 86,0 x 100,0 x 9,0 cm
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See
Inventarnummer: 0.00110
Alternativer Titel: Chemin dans la Forêt; Sous Bois; Chemin sous bouis
Malerei, Ölfarben
Sammlungsbereich:
Gemälde
Künstler/in: Maurice de Vlaminck
© VG Bild-Kunst, Bonn; Reproduktion: Nikolaus Steglich, Starnberg
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Beschreibung
Der deutsch-französische Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler (1884–1979) veröffentlicht 1920 eine kleine Monografie über den französischen Maler, Grafiker und Schriftsteller Maurice de Vlaminck, in der er auch auf dessen Werk nach 1907 eingeht. Er schreibt: »fester nur verankert er [gemeint ist Vlaminck, Anm. d. Verf.] seine Formen im Bilde: gewichtig stehen gewurzelt seine Bäume, breitbeiniger stützen auf die Erde sich seine Häuser. […] Tagsüber zog er aus, mit Begeisterung, eine neu entdeckte Fußwindung, ein Kirchlein irgendwo im Tale, eine Dorfstraße, zu malen.«Diese charakterisierende Werkbeschreibung trifft auch auf die 1913 gemalte Landschaft mit einem Weg unter Bäumen zu, die genau in dem Jahr entsteht, in dem der Kunsthändler Alfred Flechtheim (1887–1927) Werke von Maurice de Vlaminck (1876–1958) erstmalig in Deutschland in einer Gruppenausstellung anlässlich der Eröffnung der Galerie Alfred Flechtheim G.m.b.H. in Düsseldorf im Dezember 1913 ausstellt. Zwar ist das Gemälde nicht Bestandteil der Schau, doch bietet das Wissen um diese erste Ausstellung in Flechtheims Galerieräumen Hintergrundinformationen zur Etablierung von Vlamincks Werk im deutschen Kunstmarkt und dem Kontext, in dem sich erste Besitz- bzw. Eigentümerwechsel vollziehen.
Eine Rückseitenautopsie des Bildes bot trotz des Mangels an Inventarbüchern für die Sammlung Lothar-Günther (1918–2007) und Diethild Buchheim (1922–2014) und der Überlieferung von nur vereinzelten Ankaufsunterlagen erste Rechercheanhaltspunkte, die durch Datenbanküberprüfungen und umfassende Literaturrecherche ergänzt wurde.
Auf der Leinwandrückseite befindet sich ein Klebeetikett der Galerie Simon (Kahnweiler) aus Paris, auf dem das Bild nicht nur mit einer Inventarnummer, sondern auch dem Entstehungsjahr, 1913, den Bildmaßen und mit dem Titel »Sous Bois« bezeichnet ist. Außerdem hat sich auf dem Keilrahmen oben in der Mitte ein Aufkleber mit dem Signet AF erhalten, das auf den Kunsthändler Alfred Flechtheim verweist. Das Signet wird ergänzt durch ein als Majuskel fett gedrucktes schwarzes »F«, das der Web-Veröffentlichung des Forschungsprojektes zum Kunsthändler Alfred Flechtheim (1887–1937) nach für Frankfurt oder Flechtheim steht. Diese Herkunftshinweise dürften generell nicht ungewöhnlich für Bilder von Vlaminck sein, da der Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler (1884 –1979), der 1907 die Galerie Kahnweiler in Paris gründet, am 02.07.1913 einen Exklusivvertrag mit Vlaminck abschließt. Kahnweiler war es wiederum auch, der den in Deutschland tätigen Flechtheim (1887–1937) mit dem Werk des französischen Malers bekannt macht, weswegen dieser ab 1913 Werke von Vlaminck in vielen Gruppen- sowie im Dezember 1929 in einer Einzelausstellung präsentiert.
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, befindet sich Kahnweiler in Rom. Da er, wie viele andere, nicht an den Kriegsausbruch geglaubt hatte, hatte er keinerlei Vorkehrungen für die Pariser Galerie getroffen, so dass diese aufgrund von Kahnweilers deutscher Staatsbürgerschaft unter Sequestration fällt und als feindliches Vermögen im Dezember 1914 konfisziert wird. Das Inventar der Galerie wird infolgedessen in vier öffentlichen Versteigerungen im Pariser Auktionshaus Hôtel Drouot liquidiert. 1920 eröffnet Kahnweiler seine Galerie als Galerie Simon unter dem Namen eines Mitarbeiters in Paris neu. Eine schriftliche Anfrage an die Galerie Louise Leiris in Paris, die als Nachfolge-Galerie der Galerie Simon seit 1941 unter dem Namen seiner Stieftochter firmierte , in Bezug auf mögliche Archivalien zu der Provenienz des Gemäldes im Nachlass Leiris/Kahnweiler blieb unbeantwortet. Mit freundlicher Unterstützung von Luise Mahler und der Bereitstellung von Zwischenergebnissen ihrer laufenden Vergleichsstudie zu Ankäufen des Kahnweiler-Syndikats unter dem Pseudonym »Grassat« auf der vierten und damit letzten Versteigerung am 7. und 8. März 1923 im Hôtel Drouot, gelang es teilweise trotzdem, die Provenienz dieser Landschaft, insbesondere für die Jahre 1913/14 bis spät. 1929 zu rekonstruieren.
In dem annotierten Exemplar des überlieferten Auktionskataloges zur Versteigerungen am 7. und 8. März 1923 im Hôtel Drouot, das sich in der Thomas J. Watson Library des Metropolitan Museum of Art, New York befindet, sind Hammerpreise zu zwei Gemälden von Vlaminck erhalten, Los-Nr. 198 und 208, die beide mit dem beschreibenden Titel »Chemin sous bouis«, den Bildmaßen 65 x 81 cm und der Künstlersignatur vorne unten rechts katalogisiert sind. Nicht nur ist das Gemälde des Buchheim Museums mit fast identischem Titel umseitig durch das Etikett der Galerie Simon als »Sous Bois […]« bezeichnet, auch die auf dem Etikett überlieferten Bildmaße und die Angaben zur Signatur stimmen mit den Angaben aus dem Auktionskatalog überein. In Monika Flacke-Knoch und Stephan von Wieses Aufsatz »Der Lebensfilm von Alfred Flechtheim« wird explizit auf die Inhalte der ersten Versteigerungen der Sammlung Kahnweiler Bezug genommen. Die Autoren verweisen in ihrer chronologischen Übersicht über Flechtheim und seine Tätigkeit als Kunsthändler für die vierte und damit letzten Versteigerung der Kahnweiler-Sammlung im März 1923 auf einen Brief von Daniel-Henry Kahnweiler vom 11.05.1923, nach dem das Kahnweiler-Syndikat unter dem Pseudonym »Grassat« für insgesamt FR 30.340 »Bilder von Vlaminck und Picasso sowie Zeichnungen von Derain« aus dieser letzten Auktion erwirbt. Darunter befindet sich auch das hier untersuchte Landschaftsbild von Vlaminck. Hintergrund dieser Erwerbungen war, dass es Kahnweiler nicht erlaubt war, im eigenen Namen Ankäufe auf diesen Auktionen zu tätigen. So schaltet er das Syndikat mit dem Pseudonym »Grassat« ein, das laut Isabelle Monod-Fontaine so in den Archiven verzeichnet ist und zu dessen sieben Anteilseignern auch die Galerie Simon gehörte. Folglich wird diese Landschaft von Vlaminck im Mai 1923 von der Galerie Simon mit dem ins Deutsche übersetzten Titel »Unterholz« als Inv.-Nr. 7689 – wie überliefert auf dem Klebeetikett – inventarisiert.
Die Flechtheim-Filiale in Frankfurt am Main wird 1921 als Galerie Flechtheim & Kahnweiler gegründet. Der deutsch-britische Kunsthändler Gustav Kahnweiler, Bruder von Daniel-Henry Kahnweiler, übernimmt im gleichen Jahr die Leitung der Flechtheim-Filiale, in der er auch Teilhaber ist, und der er bis zur Schließung 1925 vorsteht. Aufgrund der Majuskel »F« auf dem Flechtheim-Etikett auf dem Keilrahmen des Bildes sowie der überlieferten Geschäftsbeziehungen zwischen Daniel-Henry Kahnweiler und Flechtheim und den frühen Provenienzen anderer verwandter Gemälde u.a. von Vlamincks kann davon ausgegangen werden, dass die Landschaft ihren Weg nach Deutschland von der Galerie Simon in die Galerie Flechtheim & Kahnweiler in Frankfurt findet. Der Erörterung, ob es sich hierbei um geteiltes Eigentum des Kahnweiler-Syndikats, welches sieben Anteilseigner umfasste, oder um Kommissionsware der Galerie Simon handelte, bedarf weiterer Forschung. Schließlich wird gemäß begleitendem Ausstellungskatalog der Düsseldorfer Flechtheim-Filiale zur Einzelausstellung von Ölgemälden und Aquarellen aus den Jahren 1909 bis 1929 von Maurice de Vlaminck im Dezember 1929 auch ein Waldweg als Nr. 2 in Düsseldorf ausgestellt, der durch einen Asterix bezeichnet als verkäuflich gekennzeichnet ist. Zwar lässt sich aufgrund der Häufigkeit des Motives und fehlenden Überlieferungen zu den Bildmaßen oder dem Entstehungsjahr des Exponats keine eindeutige Werkidentität herstellen, es könnte sich jedoch um die hier untersuchte Landschaft von Vlaminck handeln.
Flechtheims Situation wurde unter dem NS-Regime sowohl als Händler Moderner Kunst als auch als Jude herausfordernder. Im Sommer 1933 flüchtet er als rassisch Verfolgter aus Deutschland, um sich im Ausland eine neue Existenz als Kunsthändler aufzubauen, während seine Frau in Berlin bleibt. Schließlich lässt er sich ab Dezember 1933 in London nieder, um in der Mayor Gallery zu wirken, deren Direktoren bereits eng mit Daniel-Henry Kahnweiler in der Galerie Simon zusammengearbeitet hatten. Dank freundlicher Unterstützung einer Mitarbeiterin der Mayor Gallery konnten die Lagerbücher in Bezug auf Werke von Vlaminck und Hinweise zu ihrem Verbleib überprüft werden. Jedoch blieben die Auskünfte uneindeutig, da es keine korrespondierende Inventarnummer der Mayor-Gallery auf der Waldlandschaft des Buchheim Museums gibt und Vlamincks Oeuvre geprägt ist von einer Vielzahl an Landschaftsdarstellungen.
Als 1956 die Künstlermonografie von Marcel Sauvage zu Vlaminck »Sa vie et son message« erscheint, erwähnt dieser auch diese charakteristische Landschaftsdarstellung, macht aber keine Angaben zu dem damaligen Besitzer.
Der Zeitpunkt, zu dem Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) Eigentümer des Gemäldes wird, konnte bisher nur ungefähr rekonstruiert werden, da bisher keine eindeutigen Quellen zum Erwerb des Gemäldes im Archiv der Eheleute Buchheim gefunden werden konnten. So ist aufgrund der Datierung des Leihvertrages, den Lothar-Günther Buchheim mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München am 29.09.1975 abschließt und in dem dieses Gemälde als Leihgabe L. 1792 aufgeführt ist, bisher lediglich gesichert, dass Buchheim das Gemälde vor September 1975 erworben haben muss. Weiterhin belegen die Leihvertragsunterlagen, dass das atmosphärische Bild nur wenige Monate später wieder an Buchheim zurückgegeben wird. So zeigt eine Fotografie Buchheims das Bild, wie es die Sitzecke in seiner Bibliothek im Wohnhaus der Eheleute Buchheim in der Johann-Biersack-Straße 23 in Feldafing, ab spätestens März 1987 schmückt.
Die Provenienz der Waldlandschaft von Vlaminck zwischen 1933 und 1945 konnte nicht eindeutig geklärt werden und ist insbesondere für den Zeitraum von 1933 bis 1945 lückenhaft. Letzter bekannter Eigentümer des Gemäldes waren entweder die sieben Anteilseigner des Kahnweiler-Syndikats oder die Galerie Simon, falls es sich um Kommissionsware in der Galerie Flechtheim gehandelt hat. So ist die Herkunft des Gemäldes als nicht zweifelsfrei unbedenklich einzustufen. Sie wird vorrangig weiter erforscht. Wir freuen uns über weiterführende Hinweise.
JL
14.09.2021
Beschriftungen
rekto u. r. signiert (in schwarzer Farbe): Vlaminck [beschädigt]verso o. l. Klebeetikett (bedruckt, gestempelt und in Tinte beschriftet): GALERIE SIMON / 29 BIS, Rue d'Astorg / PARIS (VIIIe) / 1913 / N° 7689 / Vlaminck / Sous Bois / 81X65 / Photo N°
Keilrahmen o. m. Klebeetikett (bedruckt und in Bleistift beschriftet): [Signet AF] F 144 [?]
Keilrahmen l. u. Klebeetikett): [Fragment]
Provenienz
evtl. 1913/vor 12.12.1914: Galerie Kahnweiler (Daniel-Henry Kahnweiler), Paris12.12.1914–1923: Beschlagnahme des Inventars der Galerie Kahnweiler, Paris
08.05.1923: Hotel Drouot, 4. von 4 Versteigerungen der Sammlung der Galerie Kahnweiler als feindliches Vermögen, Paris, evtl. Nr. 198 oder Nr. 208
Mai 1923–o. D.: Galerie Simon (Daniel-Henry Kahnweiler), Paris, möglicherweise erworben für FR 750 (Nr. 198) oder FR 820 (Nr. 208) von dem Kahnweiler Syndikat unter dem Pseudonym »Grassat« für Galerie Simon, als einer der sieben Anteilseigner von »Grassat«
nach 05/1923/spät. 1925–o. D.: Galerie Flechtheim & Kahnweiler, Frankfurt a. M., in Kommission oder als anteiliges Eigentum der Galerie Simon, Paris
evtl. 12/1929: Galerien Flechtheim, Düsseldorf, in Kommission oder anteiliges Eigentum der Galerie Simon, Paris (Werkidentität fraglich)
spät. 1929–vor 29.09.1975: [...]
vor 29.09.1975–03.02.2004: Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1921–2014), Feldafing
29.09.1975–21.04.1980: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, entliehen von Lothar-Günther Buchheim (1918–2007)
seit 03.02.2004: Buchheim Stiftung, Bernried/Feldafing, erworben von Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1921–2014), Feldafing
JL
14.09.2021
Sammlung Buchheim
Ausstellungen
SAMMLUNG BUCHHEIM – INSIDE OUT? GEMÄLDE, ZEICHNUNGEN UND DRUCKE, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 27.04.2024–28.07.2024BUCHHEIM. KÜNSTLER, SAMMLER, ALLESKÖNNER?, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 03.12.2022–21.05.2023
BRÜCKE & SECESSION, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 27.11.2021–26.06.2022
DIE FARBEN DER AVANTGARDE, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 10.07.2021–07.11.2021
WIR SIND WIEDER DA!, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 21.02.2016–19.06.2016
Literatur
Marcel Sauvage: VLAMINCK. SA VIE ET SON MESSAGE, Genève: Éditions Pierre Cailler, 1956 (Peintres et sculpteurs d'hier et d'aujourd'hui, Bd. 40 / Les grandes monographies, Bd. 4), Kat. Nr. 138, Erw. S. 114TABLEAUX, AQUARELLES, GOUACHES, DESSINS & ESTAMPES PAR GEORGES BRAQUE, ANDRE DERAIN, MAURICE DEVLAMINCK, JUAN GRIS, FERNAND LEGER, MANOLO, PABLO PICASSO. COMPOSANT LA COLLECTION DE LA GALERIE KAHNWEILER AYANT FAIT L'OBJET D'UNE MESURE DE SEQUESTRE DE GUERRE ET DONT LA VENTE AUX ENCHERES PUBLIQUES AURA LIEU A PARIS, Hotel Drouot, Salle No 7, Paris (07.–08.05.1923), Kat. Nr. 198 oder 208