Verlag Bruno Cassirer (1901–1937 Berlin, 1940–1990 London)



Anzeige aus: DER QUERSCHNITT, Sommerheft 1922, Bibliothek im Buchheim Museum der Phantasie


1898 eröffnen die Cousins Bruno (1872–1941) und Paul Cassirer (1871–1926) in Berlin-Tiergarten in der ehemaligen Viktoriastraße 35 nahe Kemperplatz die Galerie und Verlagsbuchhandlung B. und P. Cassirer. Ihr Ziel ist es, dem Impressionismus in Deutschland zum Erfolg zu verhelfen. Durch die Verbindung von Kunsthandlung und Buchverlag gehören bildende Künstler von Anfang an zu den Wegbegleitern. So gestaltet Max Liebermann (1847–1935) das Verlagssignet und veröffentlicht eine Abhandlung über Edgar Degas (1834–1917) im Cassirer-Verlag. Gleichzeitig verlegen die Cassirers Werke der russischen Literatur, so von Fjodor Dostojewski (1821–1881), Maxim Gorki (1868–1936) und Leo Tolstoi (1828–1910). Nach wenigen gemeinsamen Jahren trennen sie sich 1901 und teilen das gemeinsame Unternehmen in die Galerie Paul Cassirer und den Verlag Bruno Cassirer auf. Sie vereinbaren, sich sieben Jahre nicht auf dem Gebiet des anderen zu betätigen.

Bruno Cassirer zieht mit dem Verlag in die Derfflingerstraße 15, ebenfalls in Tiergarten, um. Das Programm besteht weiterhin sowohl aus Abhandlungen zur Kunst, als auch aus schöngeistiger Literatur. Von Künstlern illustrierte Bücher bilden einen Schwerpunkt, der beide Bereiche verbindet. Insbesondere Max Slevogts (1868–1932) Illustrationen erscheinen bei Bruno Cassirer. Außerdem werden viele Biografien oder Lebenszeugnisse von Künstlern im Verlag publiziert, so erscheint hier Paul Gauguins (1848–1903) NOA-NOA. Sachbücher zu künstlerischen Techniken gehören ebenfalls zum Programm. Zu den Autoren der Werke über Kunst zählen wichtige Museumsdirektoren wie Alfred Lichtwark (1852–1914), Max J. Friedländer (1867–1958), Max Lehrs (1855–1938) oder Gustav Pauli (1866–1938). Unter den Autoren der literarischen Sparte veröffentlichen beispielsweise Robert Walser (1878–1956) und Wolfgang Koeppen (1906–1996). Ab 1920 erscheinen opulent ausgestattete Märchenbücher im Bruno Cassirer Verlag, die sich an Sammler von Bibliophilem richten.

Seit 1902 erscheint im Verlag Bruno Cassirer die Zeitschrift KUNST UND KÜNSTLER, deren Chefredakteur ab 1906 der Kunstkritiker Karl Scheffler (1869–1951) ist. 1903 tritt Christian Morgenstern (1871–1914) als Lektor in den literarischen Bereich des Verlages ein. Auch seine eigenen Werke, so die GALGENLIEDER, PALMSTRÖM und weitere seiner Bücher werden hier publiziert. Im Verlag betreut er die Zeitschrift DAS THEATER. 1904 erscheint Frank Wedekinds (1864–1918) Stück DIE BÜCHSE DER PANDORRA bei Bruno Cassirer. Autor und Verleger werden wegen Verbreitung von unzüchtigen Schriften angeklagt, schließlich jedoch 1906 freigesprochen. 1928 übernimmt der deutsch-norwegische Schriftsteller Max Tau (1897–1976) den Posten des Lektors im Verlag und holt viele junge Literaten zu Bruno Cassirer.

1936 wird jüdischen Verlegern die Mitgliedschaft in der von Joseph Goebbels 1933 eingerichteten Reichsschrifttumskammer entzogen. Zunächst vergibt Bruno Cassirer Lizenzen an andere Verlage, verweigert aber den Verkauf seines Unternehmens. Schließlich emigriert er 1938 nach Oxford und gründet 1940 dort den Verlag Bruno Cassirer Publishers Ltd. Nach seinem plötzlichen Tod übernimmt sein Schwiegersohn Günther Hell/George Hill (1905–1995) die Geschäfte. Noch unter Bruno Cassirer erscheinen die Briefe von Paul Cézanne (1839–1906). 1964 publiziert der Verlag das Werkverzeichnis der Druckgrafik von Francisco de Goya (1746–1828). Der Verlag wird 1990 aufgelöst. Das Archiv ging aus den Händen der Erben als Schenkung an die Staatsbibliothek Berlin.

RK

28.09.2020

Literatur

Harry Nutt: BRUNO CASSIRER, Berlin: Stapp Verlag, 1989

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