Krabbenfischer
Julius Seyler
1910–1912
Öl auf Leinwand
Bildmaß 60,3 x 80,0 cm
Rahmenmaß 80,5 x 100,7 x n cm
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See
Inventarnummer: 0.00261
Malerei, Ölfarben
Ort: Europa, Belgien, Flandern
Sammlungsbereich:
Gemälde
Künstler/in: Julius Seyler
© Rechtsnachfolge des Künstlers; Reproduktion: Nikolaus Steglich, Starnberg
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Beschreibung
»Ich war noch hinausgegangen ans Meer, ein dunstiger Abend, Ebbe, die See ganz ruhig, nur hie und da ein leises Plätschern. Der kleine Leuchtturm schickte seine Blitze aus, blaß zuckten sie auf, noch war es hell, dämmerte nach. Da kam etwas auf mich zu, etwas Merkwürdiges. Ich wußte nicht, was ich daraus zu machen hatte. Ein Ungetüm, es stapfte daher, wie mir schien, auf vier Füßen – spukhaft anzusehn, ein Etwas ragte quer an beiden Seiten heraus. Näher und näher kam das Gespenst, ein Schnauben wie von einem Pferd, aber was war auf ihm so hochgetürmt? Nun konnt‘ ich es schon besser seh’n, ein Pferd, einen Reiter erkennen, aber wo saß der Mann so hoch zu Roß? Zwei Körbe, ja richtig zwei Körbe neben ihm und hinter ihm zwei wehende Flügel weit ausgespannt.Jetzt waren sie dicht vor mir, ich konnte alles deutlich sehen. Ein schweres Pferd, ein Belgier, ein dunkles Tier mit heller Mähne, hoch über ihm, sitzend wie auf einer Kiste ein Mann im Ölanzug, den Südwester auf dem Kopf. Zwei Körbe zu beiden Seiten links, ein dritter darüber, eine Stange aufrecht rechts – eine schier 4 m lang quer auf dem Rücken des Pferdes, daran das im Winde spielende Netz.
Das war der erste Crevettenfischer, den ich sah. Nun in der Dämmerung eine mächtige Silhouette gegen das Meer – grotesk wie ein Fabelwesen.«
In dem Überblick über Seylers Leben und Wirken, das Eugen Diem in der Publikation der Briefe von Seyler im Nachgang der Bilder gibt, datiert er Seylers Aufenthalt in Flandern auf das Jahr 1910. Vermutlich entsteht in dieser Zeit das hier recherchierte Bild. Dort lässt sich Seyler inspirieren von der arbeitenden Bevölkerung und setzt seine Darstellungen fort, in denen Menschen in der Natur Thema sind. Er ist so fasziniert vom Typus Krevettenfischer, dass er das Sujet malerisch immer wieder aufgreift.
Die Herkunft dieses Gemäldes war bei Projektbeginn ungeklärt. Es gab keine Literaturreferenzen zu dem Gemälde, und im Archiv der Eheleute Buchheim konnten keine Hinweise auf den Erwerbungskontext gefunden werden. Aufgrund der Häufigkeit des Sujets in Seylers Oeuvre und der Knappheit, mit der Werke in Ausstellungskatalogen oft dokumentiert werden, gelang es zunächst auch nicht, Ausstellungsbeteiligungen für dieses Gemälde zu finden. Eine Rückseitenautopsie bot jedoch mehrere Anhaltspunkte für die Herkunftsrecherche, die in vielen Punkt aufgrund der vagen Spuren und der zeitlichen Begrenzung des Projektes nun mit vorläufigen Ergebnissen abschließen muss.
Das umseitig auf dem Keilrahmen fragmentarisch erhaltene Etikett mit der Inventarnummer »2649« der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser ermöglicht aufgrund der dort vermerkten Anschrift »[M]ünch[en Theatinerstrasse] 7« eine Datierung zwischen 1909 und 1928. Thannhauser organsiert bereits 1911 die erste Ausstellung mit Werken des Münchener Malers Seyler. Der begleitende Ausstellungskatalog dokumentiert 22 Gemälde, darunter auch Werke, die in Norwegen entstanden sind. Weitere Ausstellungen folgen 1912, zunächst mit dem Schwerpunkt auf Gemälden, die in Norwegen entstanden sind und dann den Recherchen der Galerie Maulberger nach Ende 1912 mit Arbeiten aus der Bretagne. Für letztere ist jedoch kein Katalog erhalten. Schließlich übernimmt Thannhauser die Alleinvertretung des Künstlers.
Auch wenn es in den digitalisierten Geschäftsunterlagen der Galerie Thannhauser im ZADIK keine Hinweise auf dieses Gemälde gibt, lassen Einträge zu höheren und niedrigeren Inventarnummern von Gemälden Seylers möglicherweise Rückschlüsse auf die Datierung des o. g. Etiketts und somit auf den Zeitpunkt des Besitzes durch die Galerie zu, basierend auf der Annahme, dass die vierstelligen Inventarnummern fortlaufend chronologisch vergeben wurden. So kann man dann davon ausgehen, dass, weil sowohl ein Gemälde Seylers mit der Inventarnummer »2025«, als auch eines mit der Inventarnummer »3403« am 09.12.1919 als Lagerbestand der Galerie Thannhauser in München im Lagerbuch I dokumentiert wurden, sich auch dieses Gemälde mit der Inventarnummer 2649 bereits dort befunden haben muss. Daraus lässt sich somit eine mögliche Datierung als »vmtl. vor 09.12.1919« ableiten. Offen bleibt, ob sich der »Krabbenfischer« als Eigentum oder Kommissionsware in der Galerie in München befunden oder wann ein Weiterverkauf stattgefunden hat.
Auf dem Keilrahmen o. r. befindet sich ebenfalls ein fragmentarisch erhaltenes Klebeetikett, dass auf Niederländisch bedruckt ist. Dabei ist der Ortsverweis »Veree[n...]« hervorzuheben. Das Wortfragment steht wahrscheinlich für »Vereniging: Vereen«. Gemäß der freundlichen Auskunft einer Mitarbeiterin des Rijksmuseums in Amsterdam kann es sich dabei sowohl um einen Kunstverein handeln, als auch um eine andere Art von Verein. 1934 gibt es in den Niederlanden eine Rechtschreibreform, bei der sich auch die Schreibweise des Wortes »vereeniging« auf »vereniging« ändert. Basierend auf der Annahme, dass Vereine bereits gedruckte Etiketten noch in den Folgejahren aufgebraucht wurden, aber wahrscheinlich nicht mehr in den 1940er-Jahren, ergibt sich auch für dieses Etikett eine ungefähre Datierung die mit der Formulierung »spät. 2. Hälfte 1930er-Jahre« in die Provenienzkette einfließt.
Die Recherche in niederländischen Tageszeitungen erbrachte weitere mögliche Hinweise auf dieses Werk. Einem Artikel des WETENSCHAP EN KUNST vom 17.10.1912 nach fand 1912 im Utrechter Kunstverein »Voor de Kunst« vom 20.10. bis 10.11.1912 eine Ausstellung mit Bildern von Seyler statt. Die im Utrechter Stadtarchiv überlieferte Liste vom 01.10.1912 dokumentiert 20 Gemälde, die als Leihgaben von N. V. Kunsthandel »De Protector«, einer Kunsthandlung, die von Februar 1912 bis 1926 bestand. Auf der Liste sind die Werke mit Titel und Verkaufspreisen aufgeführt, jedoch fehlen Angaben zu den Maßen und Datierungen, so dass keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Allerdings wird auf der Archivalie nur ein Gemälde aufgeführt, dessen Titel zu dem hier dargestellten Krabbenfischer passt: »Garnalenvisscher te paard« (Garnelenfischer zu Pferd) für Fl. 500. Es ist also durchaus denkbar, dass das Etikett auf dem hier besprochenen Werk dieser Ausstellung zuzuordnen ist und damit bereits vor Herbst 1912 gemalt wurde. Somit wäre für eine unbekannte Zeitspanne vor und bis zur Ausstellung als Besitzer die N. V. Kunsthandlung »De Protector« anzunehmen, die die Werke entweder in Kommission von Seyler oder als Eigentümerin zur Verfügung gestellt hätte. Da es sich um eine Verkaufsausstellung gehandelt hat, könnte es darüber hinaus einen Eigentümerwechsel gegeben haben. Diese Schlussfolgerungen sind jedoch derzeit nicht weiter beleg- oder konkretisierbar, so dass sich aufgrund der Faktenlage lediglich eine zeitliche Sortierung der Herkunftshinweise ergibt, bei der die Ausstellungsteilnahme des Bildes in einem »Vereen« in den Niederlanden (oder an einem anderen niederländischsprachigen Ort) vor einer Ausstellungsbeteiligung in der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser in München eingeordnet wurde.
Auf der Mitte des Keilrahmens oben befindet sich ein weiteres Etikett, auf dem in Tinte ein Vor- und Nachname sowie Datum überliefert sind: »Decembre 1942 / Helmuth Sack«. Eine umfassende Überprüfung von NS-Opferdatenbanken führte zu keinen Ergebnissen. Jedoch ergaben die Recherchen eine biografischen Verbindung zwischen einem in Feldafing ansässigen Fabrikanten, Helmuth Sack (1891–1944), der laut freundlicher Auskunft einer Nachfahrin dem Verleger Lothar-Günther Buchheim kurz nach dem Krieg seinen Speicher für den Buchheim Verlag zur Untermiete zur Verfügung gestellt haben soll. Laut den Einwohnermeldeakten von Feldafing waren beide Männer in der Wielinger Straße gemeldet, allerdings unter abweichenden Hausnummern. Zwei Werke von Buchheims Hand, eine Zeichnung aus Familienbesitz Sack, die Helmuth Sack im Profil ein Buch lesend darstellt, sowie ein Gemälde aus Buchheims Nachlass mit einem Brustporträt Sacks, zeugen darüber hinaus von einer Bekanntschaft zwischen Sack und Buchheim. Es erscheint also wahrscheinlich, dass Helmuth Sack aus Feldafing der Voreigentümer dieses Gemäldes gewesen ist und es entweder an Buchheim verkauft, getauscht oder verschenkt hat. Antworten auf die offenen Fragen zur Datierung des Etiketts mit »Decembre 1942« ergeben sich hieraus jedoch nicht. Aus den vom Bundesarchiv freundlich bereit gestellten Unterlagen zu Sack ergaben sich keine ergänzenden Erklärungszusammenhänge oder Herkunftshinweise für die Beschriftung.
Damit schließen die derzeitigen Recherchen mit einer lückenhaften Provenienz, insbesondere für den Zeitraum zwischen 1933 bis 1942. Wir freuen uns über jeden Hinweis, mit dessen Hilfe die Herkunft des Gemäldes weiter erforscht werden kann.
JL
08.11.2021
Beschriftungen
rekto u. r. signiert (in schwarzer Farbe): J Seylerverso o. l. beschriftet (in schwarzer Kreide): 51 [?]
Keilrahmen o. m. r. beschriftet (in Tinte): Decembre 1942 / Helmuth Sack
Keilrahmen o. m. r. beschriftet (in roter Kreide): 34
Keilrahmen o. r. Klebeetikett (bedruckt und gestempelt): [No 2649] / Moderne Galer[ie] / Heinrich Thannhauser / [M]ünch[en Theatinerstrasse] 7
Keilrahmen o. r. Klebeetikett (bedruckt und in Tinte beschriftet): Naam en voornaam Julius Seyler. / [...] / [...] / Veree[n...]
Rahmen verso o. l. beschriftet (in roter Kreide): Julius Seyler / 1873–1958 [sic]
Rahmen verso o. r. beschriftet): [...]
Rahmen verso u. r., tlw. v. Aufdopplungsleiste verdeckt beschriftet (in schwarzer Kreide): [...] / 7
Rückwand o. r. beschriftet (in schwarzem Filzstift): 0.00261
Provenienz
vor 10/1912: N. V. Kunsthandel »Protector«, Rotterdam (ungesichert, ob Kommissionsware oder Eigentum)evtl. 20.10. bis 10.11.1912/spät. um 1934: evtl. Ausstellung »Julius Seyler«, Vereen »Vor de Kunst« te Utrecht (vgl. Etikett »Veree[n...]«), ausgestellt als Leihgabe von N. V. Kunsthandel »Protector«, Rotterdam, per List vom 01.10.1912, Nr. 12 »Garnalenvisscher te paard« für »Fl. 500« (Garnelenfischer zu Pferd), Werkidentität ungesichert
[...]
nach 1909/vmtl. vor 09.12.1919–o. D.: Moderne Galerie Heinrich Thannhauser, München, Nr. 2649
[...]
12/1942–o. D.: »Helmuth Sack«, vmtl. identifiziert als Helmuth C. Sack (1891–1944), Feldafing
o. D.–03.08.2014: Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing, evtl. erworben von Helmuth C. Sack (1891–1944), Feldafing
seit 08.03.2014: Buchheim Stiftung, Feldafing/Bernried, erworben im Erbgang von Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing
JL
20.10.2021
Sammlung Buchheim