Ostende

Beschreibung

1914 meldet sich Erich Heckel freiwillig zum Frontdienst im Ersten Weltkrieg. Dort dient er als Sanitäter beim Roten Kreuz und wird 1915 an die Front nach Flandern geschickt, wo er zunächst in Roeselare und Ostende, danach in Brügge, in Gent und zuletzt wieder in Ostende stationiert ist. Dort entsteht dieses Aquarell, auf dem eine Küstenstraße der Hafenstadt dargestellt ist. Heckel selbst hält neben seiner Signatur und dem Entstehungszeitpunkt Ostende titelgebend auf der Bildseite unten rechts mit Bleistift fest. In dieser Küstenstadt trifft der Künstler im Sanitätszug des Kunsthistorikers Walter Kaesbach (1879–1961) auf die Maler Anton Kerschbaumer (1885–1931), Otto Herbig (1889–1971) und Max Kaus (1891–1977), mit denen ein künstlerischer Austausch beginnt. Kerschbaumer beschreibt Heckels Malstil in Abgrenzung zu seinem eigenen aus dieser Zeit so: »Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen Heckel und mir ist, daß ich am Sehbild hänge, während er die Landschaft mit dem inneren Auge wiedererzeugt. Während ich an verschiedenen Überschneidungen und Verschiebungen herumprobiere, hat er das Wesen eines Kanals erlebt: daß es eine in die Erde hineingrabende Rinne ist, in die Wasser läuft. Das Charakteristische im Sichtbaren eines Kanals sind die schiefen, schrägen oder senkrechten Flächen der Rinne.«

In den »Künstlerbriefen« aus dem Privatarchiv der Eheleute Buchheim, die den regen Austausch zwischen dem Sammler Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und dem Künstler Erich Heckel ab 1956 belegen, ließ sich keine Bezugnahme auf dieses Aquarell oder dessen Erwerb durch Buchheim auf der 118. Auktion des Münchner Auktionshauses Karl & Faber am 23.05.1969 als Nr. 989 finden. Rechnungsunterlagen zu dieser Erwerbung konnten in dem Privatarchiv der Eheleute Buchheim bisher nicht gefunden werden. Der Hinweis auf diesen öffentlichen Verkauf ergab sich aus einer Bildakte der Londoner Witt Library und damit auch ein Erwerbungskontext für Buchheim. Tatsächlich markierte Buchheim das Aquarell in einem Exemplar des entsprechenden Auktionskataloges aus der Privatbibliothek der Eheleute Buchheim, das dort unter dem Titel »Hafenstraße in Ostende« angeboten wurde, durch ein Kreuz neben der Losnummer mit blauem Kugelschreiber. Dass Buchheim der Käufer von »Ostende« für einen Hammerpreis von DM 6.000 auf der 118. Auktion gewesen ist, bestätigte freundlicherweise eine Mitarbeiterin des Auktionshauses Karl & Faber. Angaben zur Identität des Einlieferers mit der Auftraggeber-Nummer 127 oder zur Herkunft des Aquarells konnte das Auktionshaus jedoch nicht machen. Auch die anschließenden Recherchen zu einem Pastell von Max Liebermann, das gemäß Besitzerverzeichnis der 118. Auktion ebenfalls von Auftraggeber-Nummer 127 angeboten wurde, erbrachten keine neuen Erkenntnisse.

Trotz umfassender Literatur- und Ausstellungsrecherchen und eingehender Überprüfungen der üblichen NS-Raubkunstverlustdatenbank konnte die Provenienzlücke seit Entstehung bis zur Einlieferung in die oben genannte Auktion bei Karl & Faber 1969 nicht geschlossen werden. Wir danken der freundlichen Auskunft vom Nachlass Erich Heckel, dass es auch dort keine weiteren Informationen zur Herkunft von »Ostende« von 1915/16 gibt. Zwar ist u. a. auf der Bildrückseite der Papierarbeit ein Preis von »300,-« dokumentiert, bis auf weiteres ist jedoch unbekannt, zu welcher Transaktion dieser Preis gehörte.

Die Recherchen zu dieser Zeichnung schließen mit einer Provenienzlücke im Zeitraum von 1933 und 1945 und darüber hinaus. Die Herkunft konnte für die Zeit des Nationalsozialismus nicht eindeutig geklärt und muss weiter erforscht werden. Wir danken vorab für Hinweise aus der Öffentlichkeit.

JL

01.06.2023