Krankes Mädchen

Beschreibung

Eine Frau liegt mit geschlossenen Augen und einer weißen Binde um den Kopf in einem orange-rot leuchtenden Kleid mit angezogenen Beinen auf ihrer linken Körperseite. Sie schläft oder ruht sich aus. Ihr Kopf ist auf ihrem angewinkelten Arm abgelegt, hinter ihr stecken zwei dicke Kissen, eins schwarz, das andere in einem dunkleren Rotton als der ihres Kleides mit Aquarell ausgemalt. Vor dem schwarzen Bett, steht links im Bildvordergrund ein kleiner Tisch. Vielleicht sind es Blumen, die dort farblich hervorstechen. Die Raumumgebung, in der die Kranke ruht, ist durch Blau-, Rot- und Schwarztöne ausgestaltet, was im farblichen Kontrast zur hellen Haut der Ruhenden steht. Die Darstellung des »Kranken Mädchens« von Erich Heckel entsteht 1912 und zeigt seine spätere Frau Siddi Milda Frieda Georgi (1891–1982).

Zwei Bezeichnungen in Bleistift auf der Rückseite des Aquarells fielen bei den Recherchen ins Auge. Zum einen ließ sich die in eckige Klammern gesetzte »11« der Ausstellung GERMAN EXPRESSIONISM. WATERCOLORS, PRINTS AND DRAWINGS BY THE PAINTERS OF THE BRÜCKE, die an verschiedenen Standorten in England zwischen September 1969 und Januar 1970 Werke aus der Sammlung Buchheim zeigte, zuordnen. Zum anderen – und für die Fortsetzung der Herkunftsrecherchen von größerer Relevanz – war die in Bleistift Ziffernfolge »1175/16« im Rahmen der 16. Auktion des Stuttgarter Kunstkabinetts angebracht worden, wie ein Abgleich mit dem entsprechenden Katalog aus der Privatbibliothek der Eheleute Buchheim bestätigte, wo es als Nr. 1476 zum Verkauf angeboten wurde. Tatsächlich erwirbt Buchheim »Krankes Mädchen« dort am 26.11.1952. Über die Atmosphäre und die Ergebnisse während der 16. Auktion berichtet, der Journalist E. Ferber wenige Tage später in der Stuttgarter Zeitung: »Lebhaft wurde dagegen auf Radierungen Leibls geboten, und auch die deutschen Expressionisten schnitten diesmal gut ab. Bei Barlach, dessen Bronzeplastik Sonnenanbeter 1.150 DM brachte, wurde Blatt um Blatt der Graphik zu guten Preisen verkauft, ebenso bei Heckel, Kirchner und Kollwitz, bei der die Taxe öfter um das Doppelte überschritten wurde.«

Dank der Auskunft des Archivs Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer konnte außerdem rekonstruiert werden, dass das farblich leuchtende Blatt aus dem Vorbesitz von Helene Erfurth (1877–unbekannt) aus Gaienhofen am Bodensee stammte, die die Ehefrau des Fotografen und Kunsthändlers Hugo Erfurth (1874–1948) war. Nachdem sowohl das Atelier von Erfurth als auch die Wohnung in Köln 1943 nach Bombenangriffen fast vollständig zerstört war, zogen er und seine Frau nach Gaienhofen, wo sie bereits seit 1941 laut der Erinnerung des Sohnes Gottfried Urlaube verbracht hatten. Die Entscheidung, nach Gaienhofen zu ziehen, war auch beeinflusst durch die räumliche Nähe zu Otto Dix und seine Familie sowie der Familie Erich Heckel, die zu dem Zeitpunkt bereits in Hemmenhofen ansässig geworden waren.
Im Nachlass Erich Heckel sind keine Unterlagen erhalten, die eine Erwerbung des Aquarells aus Künstlerbesitz belegen könnten. Auch hat es unserer Kenntnis nach keine Einzelausstellungen mit Werken von Erich Heckel während der Existenz des Graphischen Kabinetts Hugo Erfurths in Dresden zwischen 1922 und 1926 gegeben, die im Zusammenhang mit diesem Werk hätten stehen können. Möglicherweise waren Werke Heckels Bestandteil einer Ausstellung von Erfurth im Jahr 1925, auf die in einem Dresdner Kalender hingewiesen wurde, für die es jedoch keine weiteren Belege gibt. Auch erbrachte die Überprüfung von Ausstellungsrezensionen in der Wochenzeitschrift Kunstchronik keine entsprechenden Hinweise auf eine Einzel- oder Sammelausstellung mit Heckels Zeichnungen.

Hugo Erfurth fertigte 1934 zwei Porträtfotos von Siddi und von Erich Heckel an, die vermutlich bereits in Köln entstehen, wohin Erfurth 1934 von Dresden kommend umzieht, so dass eine Bekanntschaft ab spätestens diesem Zeitpunkt bis nach 1945 hinaus belegt ist. Wahrscheinlich ist sogar, dass sich die beiden Künstler bereits aus ihren Dresdner Jahren, d. h. vor 1911, als Heckel, nach Berlin umzieht, gekannt haben. Der Kontakt zwischen Erfurths und Heckels dürfte nach Einschätzung von Renate Ebner vom Nachlass Erich Heckel jedoch auch später nicht sehr eng gewesen sein, da Heckels sehr zurückgezogen in Hemmenhofen gelebt hätten. Gottfried Erfurth wiederum nannte Erich Heckel und Otto Dix in einem 1977 geführten Interview »enge Freunde« seiner Eltern.

Werkbezogen kann nach derzeitigem Kenntnisstand keine Aussage darüber getroffen werden, woher oder wie lange sich das »Kranke Mädchen« im Vorbesitz von Helene Erfurth befunden hat. Denkbar ist, dass sie das Blatt aufgrund der Freundschaft zu Heckels direkt aus Künstlerbesitz gemeinsam mit ihrem Mann oder allein erworben hat. Ebenso möglich ist, dass die Erwerbung dieses Aquarells in einem anderen Kontext steht, den wir bisher noch nicht ermitteln konnten. In den im Archiv der Eheleute Buchheim überlieferten Korrespondenzen zwischen dem Ehepaar Buchheim und dem Ehepaar Heckel findet »Krankes Mädchen« keine Erwähnung.

Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nicht eindeutig geklärt, es bestehen Provenienzlücken. Die Herkunft muss weiter erforscht werden. Wir bedanken uns für entsprechende Hinweise.

JL

14.11.2023