Liegendes Mädchen
Erich Heckel
1911
Schwarze Kreide und Aquarell auf Papier
Bildmaß 23,1 x 29,7 cm
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See
Inventarnummer: 1.00033a (Werk auf Rückseite ansehen)
Alternativer Titel: Ruhende Frau; Schlafende
Zeichnung, Schwarze Pigmente, Wasserfarben
Ort: Europa, Deutschland, Sachsen, Dresden, Friedrichstadt
Sammlungsbereich:
Arbeiten auf Papier
Künstler/in: Erich Heckel
© Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen; VG Bild-Kunst, Bonn; Reproduktion: Nikolaus Steglich, Starnberg
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Beschreibung
Auf ein rotes Kissen gebettet, schläft eine junge Frau. Sie hat sich auf die rechte Schulter gelehnt, ihr linker Arm liegt über ihre Brust. Mit wenigen Strichen in schwarzer Kreide fängt Erich Heckel diesen Moment ein. Kolorit verleiht er der Darstellung nur durch wenige gezielte Farbakzente mit Aquarellfarbe, mit der er die Kissen, das Bett und den Bildhintergrund ausmalt. Die Frau ist farblos und hebt sich dadurch visuell ab gegenüber der bunten Umgebung. Die Darstellung entsteht der eigenhändigen Datierung nach 1911. Die Tuschezeichnung von Heckel auf der anderen Blattseite ist um 1910 entstanden. Bei dem auf der Rückseite abgebildeten Mädchen handelt es sich um das Modell Franziska Fehrmann (1900–1950), genannt »Fränzi«, das auch für die anderen »Brücke«-Künstler ab 1909 ein beliebtes Modell war.Links unten auf der Tuschezeichnung von Fränzi befindet sich der grüne Stempelabdruck eines Löwen des Erfurter Sammlers Alfred Hess (1879–1931), der ein großer Förderer der deutschen Kunst um 1920 war. Rechts daneben wurde mit Bleistift die dreistellige Zahl »932« und der beschreibende Titel »Schlafende« angebracht. Ob diese Nummerierung neben dem Sammlerstempel in direkter Beziehung zur Sammlung Hess steht, konnte im Rahmen dieses Projektes vorerst nicht abschließend geklärt werden. Auffällig ist, dass vergleichbare nummerische Bezeichnungen, dreistellig und im 900er-Bereich neben dem Sammlerstempel Hess, dem Löwen in Grün, und beschreibenden Titeln auch auf zwei anderen Papierarbeiten von Erich Heckel aus dem Sammlungsbestand des Buchheim Museums zu finden sind. Handelt es sich möglicherweise um Inventarnummern aus der Sammlung Hess? Christina Feilchenfeldt und Peter Romilly erwähnen in ihrem Aufsatz über die Hess’sche Sammlung, dass es eine Inventarisierung durch den Erfurter Museumsdirektor Walter Kaesbach (1879–1961) bis zu der Katalog-Nummer 4075 gegeben habe, geben aber keinen Zeitraum für diese Inventarisierung an. Die Autoren referenzieren als Quelle für diese Auskunft den unveröffentlichten Antrag auf Wiedergutmachung von Alfreds Sohn, Hans Hess (1908–1975), Erbe der Sammlung, vom 12.09.1955. Sowohl Hans als auch seine Mutter Tekla Hess (1884–1968), geb. Pauson, die als Verwalterin der umfangreichen Sammlung mit über 4.000 Kunstwerken agierte, wurden als jüdisch deklariert durch das NS-Regime verfolgt. So flieht Hans im Juni 1933 über Paris (bis 1935) nach London, wo er bis 1940 wohnt. Tekla Hess bemühte sich derweil darum, die Sammlung mit Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafik durch Verlagerungen in die Schweiz und innerhalb Deutschlands in Sicherheit zu bringen oder möglicherweise sogar zu verkaufen. Laut den überlieferten Akten aus dem Archiv des Kunsthauses Zürich, die im Zusammenhang mit der Ausstellungsorganisation der Ausstellung NEUE DEUTSCHE MALEREI vom 21.06. bis 15.07.1934 im Kunsthaus Zürich stehen, gibt es auch eine Transportliste für Werke aus der »Sammlung Frau Tekla Hess Pauson« vom 4. Juni 1934, die der Direktor Wilhelm Wartmann (1882–1970) unterzeichnet. Dabei geht es um Leihgaben aus der Sammlung Hess, die von dem Ausstellungsort Kunsthalle Basel nach der bereits im Oktober 1933 dort veranstalteten Ausstellung MODERNE DEUTSCHE MALEREI AUS PRIVATBESITZ (07. bis 27.10.1933) nun nach Zürich geschickt werden sollen. Unter den 34 Aquarellen, Zeichnungen und Holzschnitten, die in neun Kisten verpackt sind, passt jedoch keine Werkangabe zu dem »Liegenden Mädchen«. Auch in der Liste, die Wartmann für Tekla Hess im Zusammenhang mit einem von ihr beauftragten Rückversand eines Teilbestandes ihrer bis 1937 im Depot des Kunsthauses verwahrten Leihgaben in den Kunstverein Köln sowie für die weiterhin vorgesehene Einlagerung in Zürich am 18.03.1937 erstellt, taucht dieses Werk unserer Kenntnis nach per Titel oder Beschreibung nicht auf.
Vermutlich gehört diese doppelseitig bemalte Papierarbeit einer Schlafenden und eines Mädchenaktes damit zu den Sammlungsbeständen, die Tekla Hess trotz ihrer verfolgungsbedingten Flucht nach England retten konnte. In der Entschädigungsakte von Hans Hess vom 18.09.1953 ist von einem Konvolut »von etwa 120 Blatt Aquarellen und Graphiken« die Rede, das neben einigen wenigen in dieser Archivalie erwähnten Gemälden ins Ausland gebracht werden konnte. Eine Einzelaufstellung zur Sammlung gibt es in der Akte nicht.
Lothar-Günther Buchheim ersteigert die »Schlafende« am 27.11.1956 in der 25. Auktion des Stuttgarter Kunstkabinetts, wo die Papierarbeit als Nr. 288 zum Verkauf angeboten wird. Dank der Auskunft des Archivs des Stuttgarter Kunstkabinetts Roman Norbert Ketterer konnte der erste Verdachtsmoment, dass es sich bei der Zeichnung um ein NS-verfolgungsbedingt dem Erben Hans Hess entzogenes Sammlungsstück handeln könnte, entkräftigt werden, da Tekla Hess als Einliefererin von Nr. 288, »Schlafende«, in den Geschäftsunterlagen des Archivs dokumentiert ist. Im Katalog wird ebenfalls auf die Herkunft als »Sammlung: Alfred Heß, Erfurt« hingewiesen.
Eine Ausstellungshistorie für das Blatt, das unter verschiedenen beschreibenden Titeln geführt wurde, konnte erst mit Übergang in die Sammlung des Ehepaars Buchheim werkbezogen erarbeitet werden. Informationen zur Datierung für die Verwendung des Sammlerstempels konnte von uns in der bisher erschienen Sekundärliteratur über die Sammlung Alfred Hess nicht gefunden werden. Es darf jedoch angenommen werden, dass diese noch zu Lebzeiten des Sammlers, d. h. vor seinem Tod am 24.12.1931, angebracht wurde.
Die Provenienz von 1933 bis 1945 konnte auf Basis der vorliegenden Informationen somit nur vage rekonstruiert werden, da ungesichert bleibt, seit wann sich die Papierarbeit im Eigentum der Familie Hess befand. Es ist aufgrund der Genese der Sammlung jedoch davon auszugehen, dass der Erwerb vor 1932, also noch zu Lebzeiten von Alfred Hess zu datieren ist. Hinweise auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug gibt es auf Basis der konsultierten Quellen nicht. Die Herkunft kann bei Gelegenheit weiter erforscht werden. Wir danken für entsprechend Hinweise.
JL
14.12.2023
Beschriftungen
rekto u. l. betitelt): Lieg. Mädchenrekto u. r. signiert und datiert): 11 / EHeckel
verso u. l. beschriftet (in Bleistift, Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart, 25. Auktion, Nr. 288): 288
verso u. l. Nass-Stempel (in Grün): [Löwe] [L.2796a]
verso u. l. betitelt (in Bleistift): 932 Schlafende
verso u. r. signiert und datiert (in Bleistift, zu 1.00033b gehörig): Heckel08
verso u. r. beschriftet (in Bleistift): 133 [eingekreist]
Provenienz
[...]o. D.: Alfred Hess (1879–1931), Erfurt
1932–27.11.1956 [im Sinne der Eigentümerschaft]: Hans Hess (1908–1975), Berlin, London, York, Leicester, erworben im Erbgang
27.11.1956: Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart, 25. Auktion, Nr. 288, eingeliefert von Tekla Hess, York (Auftraggeber-Nr. 49) im Auftrag von Hans Hess, York [im Sinne der Eigentümerschaft]
27.11.1956–22.02.2007: Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1922–2014), erworben im Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart, 25. Auktion
seit 22.02.2007: Buchheim Stiftung, Feldafing/Bernried, erworben im Erbgang von Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und in konkludenter Schenkung von Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing
JL
14.12.2023
Sammlung Buchheim
Ausstellungen
LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM UND DER KUNSTMARKT, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 16.03.2024–16.06.2024ERICH HECKEL. EINFÜHLUNG UND AUSDRUCK, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 31.10.2020/09.03.2021–06.06.2021/20.06.2021
EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM, Haus der Kunst, München, 29.07.1998–18.10.1998
EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM. ARBEITEN AUF PAPIER, Ulmer Museum, Ulm, 10.09.1989–15.10.1989
Literatur
ERICH HECKEL. EINFÜHLUNG UND AUSDRUCK, hrsg. v. Daniel J. Schreiber, m. Texten von Felix Billeter, Cosima Dollansky, Andreas Gabelmann, Hans Geissler, Hermann Gerlinger, Angelika Grepmair-Müller, Andreas Hüneke, Claudia Leonore Kreile, Christian Rathke, Daniel J. Schreiber, Heinz Spielmann, Corinna Thamke, Ausst.-Kat. Buchheim Museum, Bernried (31.10.2020–07.03.2021), Bernried: Buchheim Verlag, 2020, Abb. S. 156EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM, hrsg. i. Auftrag der »Freunde des Buchheim-Museums und der Buchheim Stiftung e. V.«, m. Texten von Christoph Vitali, Carla Schulz-Hoffmann, Hans Krieger, Clelia Segieth, Lothar-Günther Buchheim, Ellen Maurer, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, München (29.07.–18.10.1998), Feldafing: Buchheim Verlag, 1998, Kat. Nr. 57 (ohne Abb.)
EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM. ARBEITEN AUF PAPIER, Ausst.-Kat. Ulmer Museum, Feldafing: Buchheim Verlag, 1989, Kat. Nr. 96
DIE MALER DER BRÜCKE. SAMMLUNG BUCHHEIM, m. Texten von Hans Konrad Röthel, Ausst.-Kat. Städtische Galerie München (18.06.–26.07.1959), Kat. Nr. vmtl. 139
25. KUNSTAUKTION MODERNE KUNST. GEMÄLDE, HANDZEICHNUNGEN, GRAPHIK, PLASTIK, Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer, Stuttgart (27.–28.11.1956), Kat. Nr. 288, Erw. S. 37