Liegendes nacktes Mädchen mit langen Haaren

Beschreibung

Mit dieser Zeichnung, die Ernst Ludwig Kirchner mit Kohle und farbiger Kreide auf Karton anfertigt, fängt er einen spontanen Moment ein, in dem sich eines seiner weiblichen Modelle, auf der Seite liegend lachend vom Betrachter weg, zur Seite dreht. Die dunklen langen Haare sind mit dickem Kohlestrich und farblicher Akzentuierung durch einen blauen äußeren Konturstrich besonders hervorgehoben, so wie auch die rostrot leuchtenden Lippen, Augen, Augenbrauen und Brustwarzen.

Den »Liegenden weiblichen Aktes« erwirbt Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) am 20.05.1958 im Stuttgarter Kunstkabinett in der 31. Auktion als Nr. 471, wie uns das Archiv Roman Norbert Ketterer in Wichtrach freundlich bestätigt hat. Buchheim ersteigert in dieser Auktion noch weitere Werke, wie u. a. das Aquarell »Steile Wand« von Erich Heckel (1883–1970), Inv. 1.00165. In der Privatbibliothek der Eheleute Buchheim sind zwei Auktionskataloge zur 31. Auktion überliefert, jedoch ist nur ein Exemplar von Buchheim mit Annotationen in Bleistift versehen worden. Das Aquarell von Erich Heckel, Nr. 332, ist dabei nicht nur mit einer Preisannotation, sondern auch mit einem Kreuz in Bleistift gekennzeichnet. Dies ist für diese Aktzeichnung von Kirchner nicht der Fall. Buchheim notierte neben Nr. 471 lediglich den Hammerpreis von »1.850«. Der Auktionskatalog dokumentiert in der Losbeschreibung zum einen, dass die Zeichnung aus dem Nachlass des Künstlers stammt, zum anderen aber auch, dass sie in der Blattmitte eine senkrechte geglättete Knickfalte aufweist. Der Auftraggeber ist im Verzeichnis des Kataloges als Nr. 5 dokumentiert. Es handelt sich dabei um die Erbengemeinschaft E. L. Kirchner aus Biberach.

Der Kunsthändler Eberhard Kornfeld (1923–2023) setzt sich in seiner Publikation DIE GESCHICHTE DES NACHLASSES VON ERNST LUDWIG KIRCHNER AB 1938 BIS HEUTE von 2021 erstmalig detailliert mit der Historie des Nachlasses auseinander. Dabei stellt er fest, dass der umfangreiche Nachlass an Zeichnungen im Gegensatz zu den Gemälden von Kirchner nach dessen Tod 1938 nicht inventarisiert wurde. Erst 1946, nachdem der künstlerische Nachlass treuhänderisch ans Kunstmuseum Basel gelangt, werden auch die Papierarbeiten inventarisiert und mit einem Nachlassstempel versehen. Die handschriftlichen Ergänzungen in den Stempeln beziehen sich mit ihren unterschiedlichen Kürzeln auf den Entstehungsort und die Art der Darstellung. So ist für diese Aktzeichnung das Kürzel »Dre/Bg 87« verwendet worden, was laut Kornfelds Angaben für eine Darstellung mit »Nackte Figuren« eingesetzt wurde. Kornfeld erwähnt nicht, dass sich das Kürzel in den ersten Buchstaben auf den Entstehungsort in Dresden bezieht. Für die Provenienz dieser Zeichnung bedeutet dies, dass sie 1946 ins Kunstmuseum Basel kam und entweder bis zur Einlieferung ins Stuttgarter Kunstkabinett im Eigentum des Nachlasses verblieb oder dass der Nachlass es nach 1946 bereits veräußerte und ein anderer Eigentümer Einlieferer zur 31. Auktion war.

Auf der Blattrückseite sind neben dem Nass-Stempelabdruck des Kirchner Nachlasses die Inventarnummer des Buchheim Museums, »1.00178« sowie die Zahl »22« in eckigen Klammern mit Bleistift angebracht. Letztere Beschriftung wurde im Zusammenhang mit der Ausstellung GERMAN EXPRESSIONISM. WATERCOLORS, PRINTS AND DRAWINGS BY THE PAINTERS OF THE BRÜCKE, in der Papierarbeiten aus Buchheims Sammlung im Bethnal Green Museum in London vom 20.09. bis 02.11.1969, der City Art Gallery in Southampton vom 06.12. bis 27.12.1969 und in der City Art Gallery and Museums in Bradford vom 03. bis 24.01.1970 ausgestellt wurden. Die Kreidezeichnung »Reclining nude with long hair« ist als Kat.-Nr. 22 in dem begleitenden Ausstellungskatalog dokumentiert.

Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 rekonstruierbar und unbedenklich. Sie schließt einen NS-verfolgungsbedingten Hintergrund aus, die Provenienz ist lückenlos, eine weitere Überprüfung ist nicht notwendig.

JL

29.08.2023