Zwei nackte Frauen

Beschreibung

Mit langen Strichen, Schraffuren und Punkten in schwarzer Tusche stellt Ernst Ludwig Kirchner zwei weibliche Akte hintereinander liegend auf einem Bett dar. Keck richtet die rechte Frau ihren Blick aus dem Bild heraus, während sie beide Hände an ihr Gesicht führt. Auf ihrem Kopf thront ein runder Hut, unter dem ein dunkler Bob hervorlugt. Dicht an ihre Oberschenkel gepresst lehnt ein anderes weibliches Aktmodell, das ihren linken Arm um den rechten Oberschenkel des anderen Modells geschlungen hat. Der Wand des Atelierinnenraumes hinter dem Bett wurde durch lange vertikale Striche, die parallel zueinander verlaufen, Struktur verliehen. Einige wenige figürliche Elemente, die zum Mobiliar gehören oder Teil einer Wanddekoration sein könnten, sind hinter den Frauen zu sehen.
Der für den Kissen- oder die Bettrolle verwendete Textilbezug, an die sich das rechts Model lehnt, entspricht in den Gestaltungsmotiven einem Textilbezug, der auf einem Foto aus dem »Zelt« in Kirchners Atelier Körnerstraße 45 in Berlin als Kissenbezug dokumentiert ist. Zwar ist das Motive der stilisierten Frauengestalt, die die Arme mit den Handflächen nach oben streckt, auf dem Bezug mittig angeordnet und in genau gegensätzlicher Hell-Dunkelprägung abgebildet, aber die Konturen und der Dekor-Zackenrand stimmen überein. Ähnliche Nackenrollen oder Kissen befinden sich auch bereits auf Darstellungen aus dem Dresdner Atelier (Inv. 1.00193, 1.00194). Vielleicht verwendete Kirchner den Stoff als Dekorelement weiter – oder für die Ateliergestaltung in anderer Form (statt als längsrechteckiges Kissen als Kissenrolle) oder es handelt sich sogar um den gleichen Stoff, der groß genug war, um geteilt für mehrere Textilstücke benutzt zu werden.

Das Werk ist als »Zwei nackte Frauen« betitelt, wie die umseitig angebrachte Beschriftung belegt. Es stammt ehemals aus der Sammlung des Davoser Arztes Frédéric Bauer (1883–1957), der nicht nur Kirchners behandelnder Arzt, sondern auch ein enger Vertrauter Kirchners war. Nach Auskunft des Kunsthändlers Eberhardt W. Kornfeld (1923–2023) erwirbt Bauer im November 1922 sein erstes Gemälde von Kirchner. Über Jahre hinweg tätigt er weitere Ankäufe, Kirchner machte ihm aber auch Geschenke, wie durch eine entsprechende Inschrift auf der Zeichnung »Kauerndes Mädchen« (Inv. 1.00193) des Buchheim Museums dokumentiert ist. Der Zeitpunkt, zu dem Bauer »Zwei nackte Frauen« erwirbt, ist unserer Kenntnis nach nicht gesichert überliefert. Laut den Recherchen des Kunsthistorikers Roland Scotti trägt Bauer den Großteil seiner Kirchner-Sammlung bis 1932 zusammen. Aber auch danach erwirbt er Werke, um Lücken in seiner Kollektion zu schließen oder Kirchner finanziell zu unterstützen.

Nachdem sich Bauer entschließt, sich von seiner Sammlung sukzessive zu trennen, stimmt er erstmalig auch einer Ausstellung seiner Gemälde und Grafik Kirchners von Oktober bis Dezember im Haus der Kunst 1952 zu, in der diese Tuschezeichnung noch nicht gezeigt wird. In Vorbereitung des Verkaufsprozesses durch das Auktionshaus Stuttgarter Kunstkabinett ab 1954 tourt sie aber kurz vor Verkauf als Teil der Sammlung Bauer ERNST LUDWIG KIRCHNER. AQUARELLE, ZEICHNUNGEN, GRAPHIK zwei Jahre später von Februar bis Mai von München nach Zürich, Köln und Stuttgart.

Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) ersteigerte die Zeichnung auf der 19. Auktion des Stuttgarter Kunstkabinetts am 19.05.1954. Im Katalog ist sie als Nr. 1164 mit dem Titel »Zwei liegende Akte« geführt. In seinem Katalogexemplar – überliefert in der Privatbibiliothek der Eheleute Buchheim –notiert Buchheim für den Erwerb einen Hammerpreis von CFH »190,-«.

Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 rekonstruierbar und unbedenklich. Sie schließt einen NS-verfolgungsbedingten Hintergrund aus.

JL

15.11.2023