Zwei Frauen im Bad
Ernst Ludwig Kirchner
um 1909
Schwarze und farbige Kreide auf Papier
Bildmaß 69,0 x 89,7 cm
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See
Inventarnummer: 1.00177b (Werk auf Vorderseite ansehen)
Zeichnung, Schwarze Pigmente, Farbige Pigmente
Sammlungsbereich:
Arbeiten auf Papier
Künstler/in: Ernst Ludwig Kirchner
Reproduktion: Nikolaus Steglich, Starnberg
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Beschreibung
Diese Darstellung von Ernst Ludwig Kirchner »Zwei nackte Mädchen auf Sofa« muss der Datierung bzw. dem Stil der Darstellung nach in einem seiner Ateliers in der Berliner Straße in Dresden-Friedrichstadt entstanden sein. Das Atelier Berliner Straße 60 übernimmt er im Frühherbst 1907 von seinem »Brücke«-Kollegen Erich Heckel (1883–1970), der es davor angemietet hatte. Im Herbst 1909 zieht er in die Berliner Straße 80 um. Die weißen Wände gestaltet Kirchner dort über die Jahre mit selbst entworfenen und gebauten Einrichtungsgegenständen und verändert die Farbigkeit durch Textilien wie Wandteppiche, Decken und andere dekorative Elemente. In dieser Kreidezeichnung sind die Einrichtungsgegenstände nur angedeutet, so dass unklar bleibt, ob es sich bei dem im Hintergrund angedeuteten Rahmen um den eines Spiegels oder eines Bildes handelt. Beide Varianten gibt es in Kirchners Oeuvre für diesen Entstehungszeitraum. Die beiden Frauen befinden sich auf einer Liege, die von Kirchner um 1909 eingesetzt wird und damit schon zur Atelierausstattung Berliner Straße 60 vor dem Umzug im Herbst gehört haben könnte. Kirchner wollte mit der Liege für die Modelle eine »natürliche« Atmosphäre schaffen und verdrängte damit bewusst oder unbewusst das bis dahin übliche Podest für Akte in Ateliers als Möbelstück, wie Hanna Strzoda in ihrer Studie zur Rezeption »primitiver« europäischer und außereuropäischer Kulturen resümiert.Auf der Rückseite von »Zwei nackte Mädchen auf Sofa« befindet sich ebenfalls eine Kreidezeichnung von Kirchner, die jedoch einen deutlich skizzenhafteren Charakter hat. Dargestellt sind »Zwei Frauen im Bad«. Oben rechts auf der Blattseite befindet sich der blaue Nassstempel-Abdruck des Schweizer Zolls ›ZOLL / [·] 1-27 [·] / [Kreuz]‹. Im Zusammenhang mit ihren Recherchen zu Papierarbeiten von Ernst Ludwig Kirchner aus der fiktiven sogenannten »Sammlung Gervais«, auf denen sich ebendieser Stempelabdruck befindet, weist Sandra-Kristin Diefenthaler darauf hin, dass Zollakten nach einer maximalen Frist von zehn Jahren vernichtet werden und daher eine Datierung des Vorgangs nicht mehr rekonstruierbar ist. Sie schreibt ergänzend: »sicher ist hingegen, dass der Stempel von der Zollstation ›Basel Bahnhof‹ stammt, und dass ein so genannter »Nämlichkeitsstempel« verwendet wurde, der eine »vorübergehende« Ausfuhr erlaubte. Dieses Zollverfahren dient der Vermeidung von Zollabgaben und wird genutzt, wenn Kunstobjekte für einen klar benannten Zweck und einen genau definierten Zeitraum in ein anderes Land ein- und dann wieder ausgeführt werden. Meist wird es bei Ausstellungen angewendet. Möglicherweise wurde der Stempel auch eingesetzt, um eine Einlagerung von Gegenständen in das Basel benachbarte Zollfreilager zu kennzeichnen. Gesichert ist, dass die Abgangszollstelle für die Kennzeichnung der Sendung auf »Nämlichkeit« hin verpflichtet ist. Welcher der genannten Zwecke der Zollstation ›Basel Bahnhof‹ zu einem unbekannten Zeitpunkt objektbezogen Anlass für das Anbringen dieses Stempels gegeben hat, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend rekonstruieren.
Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) erwirbt »Zwei nackte Mädchen auf Sofa« auf der Auktion 90 des Berner Auktionshauses Klipstein & Kornfeld am 16. bis 17.05.1958 als Nr. 437, wie uns das Archiv Kornfeld freundlich bestätigt hat. Einlieferer war ein deutscher Privatsammler. Ein Katalogexemplar zu dieser Auktion konnte in der Privatbibliothek der Eheleute Buchheim bisher nicht gefunden werden, auch wenn Buchheim auf der Auktion nicht nur diese Papierarbeit, sondern mehrere andere Zeichnungen und Druckgrafik erwirbt wie beispielsweise die Papierarbeit »Steile Wand« von Erich Heckel von 1919 (Inv. 1.00164) oder auch »Hirte mit Tieren« von Ernst Ludwig Kirchner von 1920/21 (Inv. 1.00249). In der Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte befindet sich ein Katalogexemplar von Auktion 90 von Klipstein & Kornfeld, das einige handschriftliche Annotationen aufweist. So ist auch neben Los 437 nicht nur der Schätzpreis und der Hammerpreis mit blauem Kugelschreiber und Bleistift als »T. 3500-/3300-« dokumentiert, sondern es wurde auch durch die Worte »(meins!!!)« und darüber mit dem Abkürzungskürzel »Dr G ?« versehen. Wer war es aber, der über das Verkaufsangebot des Auktionshauses »(meins!!!)« notierte? Und auf wen bezieht sich »Dr G ?«?
Gemäß Erwerbungsbuch ist das Katalogexemplar dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München im Jahr 2001 als Teil eines großen Konvoluts geschenkt worden. Im Erwerbungsbuch ist jedoch kein Name der Stifterin oder des Stifters vermerkt. Im Jahresbericht des ZIKG von 2002 wird jedoch u. a. von einer umfangreichen Schenkung im Jahr 2001 des Galeristenehepaars Otto und Etta Stangl, München, und von Barbara Göpel, der Witwe des Kunsthistorikers Erhard Göpels, berichtet. Möglicherweise gehörte auch dieses Katalogexemplar zu den geschenkten Buchkonvoluten, wobei die Bücher des Ehepaar Stangls mit einem Ex-Libris versehen sind und der Katalog keinen entsprechenden Aufkleber aufweist. In ausgewählten Unterlagen des Nachlasses Erhard Göpels in der Bayerischen Staatsbibliothek wurde ebenfalls werkbezogen recherchiert. Jedoch konnte in den eingesehenen Unterlagen kein Hinweis auf einen möglichen Vorbesitz des Blattes, das »Zwei nackte Mädchen auf Sofa« und »Zwei Frauen im Bad« zeigt, durch das Ehepaar Göpel gefunden werden. Auch die Handschrift, die in dem Katalogexemplar des Zentralinstituts für Kunstgeschichte neben Nr. 437 überliefert ist, konnte Erhard Göpel nicht eindeutig zugeordnet werden. Möglicherweise handelt es sich sogar um zwei unterschiedliche Autorinnen oder Autoren, die die genannten Annotationen sowohl in Wort als auch in den Preisen geschrieben haben, denn die Zahl »/3300-« wurde in Bleistift und nicht mit blauem Kugelschreiber notiert.
Die bisherige Literatur- und Ausstellungsrecherchen erbrachten keine weiterführenden Erkenntnisse über den Verbleib von »Zwei nackte Mädchen auf Sofa/ Zwei Frauen im Bad« vor dem Zeitpunkt, zu dem Buchheim es für seine Sammlung im Mai 1958 in Bern erwirbt.
Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nicht eindeutig geklärt, es bestehen Provenienzlücken. Die Herkunft muss weiter erforscht werden. Wir freuen uns über entsprechende Hinweise.
JL
27.09.2024
Beschriftungen
rekto o. r. Nass-Stempel (in Schwarz, um 90° nach rechts gedreht): ZOLL / [·] 1-27 [·] / [Kreuz]verso u. l. signiert (in Bleistift): ELKIrchner
Provenienz
[...]o. D.–16.05.1958: Privatsammlung, Deutschland
16.05.1958: Klipstein & Kornfeld, Bern, Auktion 90, Nr. 437, eingeliefert von Privatsammlung, Deutschland
16.05.1958–22.02.2007: Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing, erworben bei Klipstein & Kornfeld, Bern, Auktion 90
seit 22.02.2007: Buchheim Stiftung, Feldafing/Bernried, erworben im Erbgang von Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und in konkludenter Schenkung von Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing
JL
27.09.2024
Sammlung Buchheim
Weitere Werke
- Pantomime, 1912
- Großer Wald hintere linke Kulisse zu »Die Tochter vom Arvenhof oder Wie auch wir vergeben«, 1931, 4. Akt: Val Rosatsch, 1931
- Berglandschaft, o. J.
- Sitzender weiblicher Akt auf geschnitztem Sessel, 1910
- Plakat der Ausstellung »Ernst Ludwig Kirchner«, Kunsthalle Bern 1933, 12/1932
- Frau und zwei Buben im Segelboot, 1914
- Liebespaar, um 1905
- Blumenvase, o. J.
- Wanderer am Gebirgsbach, 1919
- Im Varieté, o. J.