Sich abtrocknender weiblicher Akt im Zimmer

Beschreibung

Mit Bewegungsmomenten, die sich rund um das Baden ergeben, beschäftigt sich Ernst Ludwig Kirchner intensiv ab dem Sommer 1909 und in den Folgejahren 1910 und 1911, in denen er oft an den Moritzburger Teichen malt. Es entstehen jedoch nicht nur Darstellungen von Badenden in der Natur, sondern auch Aktdarstellungen in Innenräumen, die beispielsweise in Badezubern, auch Tubs genannt, sitzen oder stehen. In dieser Bleistiftzeichnung ist eine nackte stehende Frau dargestellt, die ein großen Tuch vor ihre Brust hebt, während sie ihren Kopf nach vorne geneigt hält. Es ist nicht genau identifizierbar, um welche Art von Möbelstück es sich handelt, das links im Bild vor ihr steht. Von daher überrascht es nicht, dass der Titel zu der Zeichnung über Jahre hinweg variiert, wie sich in der Forschung zur Herkunft des Blattes gezeigt hat und im Folgenden ausgeführt wird.

Frédéric Bauer (1883–1957), Kirchners behandelnder Arzt im Davoser Parksanatorium und erster Eigentümer der Kohlezeichnung veröffentlicht das Blatt unter dem Titel »Nacktes Mädchen einen Stoff betrachtend«, als es erstmalig öffentlich in der Ausstellung ERNST LUDWIG KIRCHNER. GEMÄLDE UND GRAPHIK DER SAMMLUNG DR. F. BAUER, DAVOS im Haus der Kunst in München vom 25.10. bis 14.12.1952 ausgestellt wird. Den Recherchen des Kunsthistorikers Roland Scotti nach erwirbt Bauer den Großteil seiner Sammlung bis 1932. Danach schließt er nur noch Lücken oder tätigt Erwerbungen, um Kirchner finanziell zu unterstützen. Für die hier vorliegende Zeichnung ist uns kein genauer Erwerbszeitpunkt bekannt. Als Bauer die Zeichnung anderthalb Jahre später im Stuttgarter Kunstkabinett zur 19. Auktion als Los-Nr. 1159 zum Verkauf anbietet, wird es unter dem Titel »Weiblicher Akt sich abtrocknend« im Katalog aufgeführt. Der Kunsthändler Christoph Czwiklitzer (1914–1992), der in den 1950er-Jahren eine gleichnamige Galerie in Köln führt, erwirbt die Kohlezeichnung für einen Hammerpreis von CHF 80,–. Möglicherweise ist er es auch, der die Zeichnung an den Stuttgarter Sammler Max Fischer (1886–1975) verkauft. Letzterer entscheidet sich anlässlich der 28. Auktion des Stuttgarter Kunstkabinetts am 28. bis 29.05.1957 zum Verkauf von »Sich abtrocknender weiblicher Akt im Zimmer«, wo er es als Los-Nr. 1159 zur Auktion einliefert. Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) markiert sein besonderes Interesse an dem Los in seinem Katalogexemplar und dokumentiert darin einen Hammerpreis von »210,–«. Entsprechende Rechnungsunterlagen zu der Auktion konnten bisher zwar nicht im Archiv der Eheleute Buchheim gefunden werden, jedoch bestätigte das Archiv Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer freundlicherweise den Erwerb der Kohlezeichnung durch Buchheim.

Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 rekonstruierbar und unbedenklich. Sie schließt einen NS-verfolgungsbedingten Hintergrund aus.

JL

09.10.2023