Stehender Akt

Otto Mueller

um 1929

Schwarze und farbige Kreide sowie Aquarell auf Papier

Blattmaß 68,3 x 50,2 cm


Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See


Inventarnummer: 1.00316

Alternativer Titel: Stehendes Mädchen; Standing Girl; Standing Nude

Zeichnung, Schwarze Pigmente, Farbige Pigmente, Wasserfarben

KVZ/WVZ: Pirsig-Marshall/Lüttichau P1929/16 (827)


Sammlungsbereich: Arbeiten auf Papier

Künstler/in: Otto Mueller


Reproduktion: Nikolaus Steglich, Starnberg
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Beschreibung

Das Darstellungsthema von weiblichen Akten prägt das malerische und zeichnerische Oevure von Otto Mueller. Andreas Hüneke verweist darauf, dass es ein mit »Badende« betiteltes Bild in der Ausstellung der Neuen Secession 1910 ist, das die »Brücke«-Künstler Erich Heckel (1883–1970) und Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) auf den Maler Mueller aufmerksam werden lässt und sie zu einem Besuch bei Mueller veranlassen. Auch in dieser Darstellung könnte es sich um eine Badende handeln, die hier als »Stehender Akt« betitelt im Ganzkörperformat frontal vor uns steht. Selbstbewusst stemmt sie einen Arm in die Hüfte und richtet ihren Blick leicht nach unten. Hinter ihr ist durch ein changierendes Blau, das fast die gesamte Blattseite bedeckt, Wasser angedeutet. Der Frauenakt ist quasi umgeben von Wasser. Mueller benutzt für die Darstellung schwarze und farbige Kreide sowie Aquarellfarbe.

Gemäß der kunsthistorischen und stilistischen Einordnung des Autorenteams des Werkverzeichnisses, Tanja Pirsig-Marshall und Mario von Lüttichau, entsteht diese Papierarbeit um 1929. Allgemein erschwerend für die objektbezogene Herkunftsrecherche für alle Zeichnungen und Aquarelle von Mueller ist, dass der Künstler seine Werke zwar überwiegend signiert, aber nicht datiert hat. Exakte Angaben von Techniken fehlen in Quellen zu Ausstellungsbeteiligungen, Darstellungsthemen wiederholen sich und sind aufgrund der beschreibenden Titel, die im Kunsthandel und von Vorbesitzerinnen und Vorbesitzern vergeben werden, in der Regel nicht eindeutig zuzuordnen. In diesem Fall ist jedoch der für den Sammlungsbestand übernommene Bildtitel »Stehender Akt« auf der Blattrückseite dokumentiert, auch wenn die Papierarbeit im Werkverzeichnis unter dem Titel »Stehendes Mädchen« geführt wird und nicht gesichert gesagt werden kann, wer Autor oder Autorin des Bildtitels auf der Blattrückseite gewesen ist. Weitere Herkunftshinweise wie die Beschriftung »unverkäuflich« und ein Stempelabdruck des Otto-Mueller-Nachlass-Stempels, der von Erich Heckel (1883–1970) zur Verwaltung des künstlerischen Nachlasses des bereits 1930 verstorbenen »Brücke«-Kollegen angebracht wurde, sind verso zu finden. Letzerer belegt den Verbleib der Papierarbeit im Künstlernachlass sowie ein Eigentumstransfer an die Erben von Mueller im Jahr 1931. Wie lange »Stehender Akt« im Eigentum der Erben Muellers bleibt bzw. über welchen Handelsweg Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) das Blatt für seine Sammlung erwirbt, konnte bislang nicht rekonstruiert werden. Es gibt jedoch noch eine weitere Zeichnung von Otto Mueller im Sammlungsbestand des Buchheim Museums, die verso in ähnlicher Weise mit dem Nachlass-Stempel und der Beschriftung »unverkäuflich« bezeichnet wurde und somit auf gleichem Erwerbsweg in Buchheims Besitz gelangt sein könnte (vgl. Inv. 1.00330).

Ein möglicher Voreigentümer könnte Muellers Erbe Josef Mueller-Herbig (1925–1992), Sohn mit seiner zweiten Frau Elsbeth Herbig, geb. Lübke (1902–1977), sein. Yves Buchheim (* 1949), Buchheims Sohn, erinnert sich an mindestens einen Besuch Mueller-Herbigs im Haus Buchheim in Feldafing am 16.12.1963. Mueller-Herbig hatte mehrere komplette Exemplare der sogenannten {Zigeunermappe} von 1927 von Otto Mueller geerbt und verkaufte an dem von Yves Buchheim genau benannten Tag ein Exemplar an Lothar-Günther Buchheim, für das dieser mit Bargeld und einem Ölbild, einer »Variation« von Alexej von Jawlensky (1864–1941), bezahlt haben soll. Ein Geschäft, über das sich Buchheim sehr gefreut haben soll. Die chronologische Einordnung des Besuchs von Mueller-Herbig auf oder um 1963 durch Yves Buchheim passt grundsätzlich zu den uns bekannten werkbezogenen Literaturreferenzen, da Buchheim den »Stehenden Akt« erstmalig 1968 als Bildvorlage ohne Besitzerangabe für eine Abbildung in seiner Monografie OTTO MUELLER von 1968 nutzt. So ist undokumentiert, wer Eigentümer oder Eigentümerin der Papierarbeit zu diesem Zeitpunkt war. In den uns bekannten Briefen von und an Josef Mueller-Herbig, die im Archiv der Eheleute Buchheim überliefert sind, wird das Aquarell »Stehender Akt« nicht erwähnt. Auch andere Verkäufe bleiben unerwähnt. Dass ein persönliches Treffen an dem von Yves Buchheim angegebenen Tag stattgefunden hat, ist durch einen Brief von Mueller-Herbig vom 16.12.1963, der aus Karlsruhe schreibt, widerlegt. Allerdings kündigt er in dem Schreiben seine Absicht an, Buchheims zwischen den Jahren besuchen zu wollen.

Vorrangig in seiner Funktion als Verleger und Autor kontaktiert Buchheim Mueller-Herbig Ende 1957, Anfang 1958. In seiner Kontaktaufnahme bezieht er sich auf die Vorbereitung eines Oeuvre-Katalogs zum grafischen Werk Otto Muellers. Auch scheint es ihm um Klärung von Bildrechten zu gehen, die Mueller-Herbig zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr selbst, sondern durch den Kunsthändler Roman Norbert Ketterer verwalten lässt. Buchheim plant neben dem Werkverzeichnis auch einen Kunstkalender und die Veröffentlichung von Postkarten. Am 5. Januar 1958 schreibt er ihm, dass er schon länger nach Mueller-Herbigs Anschrift gesucht habe, sowohl über das Ehepaar Heckel als auch über Emmy Mueller (1876–1962), die ältere Schwester von Otto Mueller, mit der Buchheim 1958 bereits wegen einer von Emmy Mueller verfassten unveröffentlichten Biografie im Austausch steht. Weiterhin erwähnt der Feldafinger Verleger und Sammler, dass er »in ständiger Verbindung mit Herrn Eugen Meyerhofer [sic] und Herrn Josef Meyerhofer [sic]« stünde. Diese Aussage Buchheims ist für die Provenienzforschung insofern relevant, weil sie belegt, dass Buchheim 1958 bereits ein weit gespanntes Netzwerk zu den verschiedenen Erben Otto Muellers oder deren Verwandten hat, die generell alle als Vorbesitzer oder Vorbesitzerinnen von Muellers Bildwerk in Frage kommen. In einem späteren Brief vom 22.02.1960 erwähnt Buchheim sogar konkret, dass er von Josef Mayerhofer »vor langer Zeit schon ein Bild von Otto Mueller« erworben habe. Zwar dürfte es sich der Bezeichnung nach bei diesem Kauf nicht um das hier diskutierte Aquarell handeln, das Buchheim aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als Bild, sondern als Grafik, Aquarell oder Zeichnung bezeichnet hätte, die Aussage belegt aber eine geschäftliche Beziehung zu Nachfahren, die mit Muellers erster Frau Maschka Mueller (1880 –1952) verwandt sind. Maschkas Neffe, Eugen Mayerhofer (1901–unbekannt), Sohn von Maschkas Schwester Emma Franziska Mayerhofer (1878–unbekannt), lebte zeitweise bei dem Künstler und seiner Frau. In Briefen an Maschka bezieht sich Mueller auf Eugen, den er auch als Modell nutzte. Auch Josef Mayerhofer (Lebensdaten unbekannt), Eugens Halbbruder, wird von Otto Mueller in Briefen als »Peppi« erwähnt. Pirsig-Marshall und Lüttichau erläutern im Vorwort zum Werkverzeichnis von 2020, dass ein Teil der von Otto Mueller nachgelassenen Werke unter der ersten und dritten Ehefrau, Maschka Mueller und Elfriede Timm (1904–1979), aufgeteilt werden. Der größte Anteil wird seinem Sohn, Josef Mueller-Herbig, zugesprochen. Da dieser 1931 noch minderjährig ist, wird er an seine Mutter, Muellers zweite Ehefrau, Elsbeth Herbig, übergeben. Herbig arbeitet in der Folge mit den Kunsthändlern Axel Vömel (1897–1985) aus Düsseldorf und Günther Franke (1900–1976) in München zusammen, ebenso wie ihr Sohn Josef Mueller-Herbig, der Franke am 29.10.1964 bittet, Buchheim für seine verlegerischen Tätigkeiten Werke aus dem Nachlass, die Franke als Kommissionsware in München hat, zur Verfügung zu stellen. Auch weist er Buchheim daraufhin, dass seine Mutter noch Werke habe, die dieser bei der Planung berücksichtigen könne. Wie wahrscheinlich ist es nun, dass Buchheim das Aquarell »Stehender Akt« von Mueller-Herbig erwirbt? Zweifelsfrei verwendet Buchheim erst in der 1968 erschienen Künstlermonografie eine Abbildung von dem Aquarell, und nicht schon 1963. Ebenso zweifelsfrei gesichert ist auch die Herkunft des Aquarells aus dem Nachlass, was durch den umseitig angebrachten Nachlass-Stempel belegt ist. Tatsächlich fragt Buchheim Mueller-Herbig am 12. Mai 1964 konkret, ob dieser ihm nicht ein Aquarell verkaufen könne. Mueller-Herbig antwortet Buchheim darauf postwendend zwei Tage später: »Weiterhin muß ich Ihnen sagen, daß ich nicht an Verkauf denke, weder über Herrn Günther Franke, noch direkt an Sie. Die Blätter liegen schon seit Jahren bei Herrn Franke unverkäuflich.«

Im Ergebnis kann somit trotz der Existenz von Primärquellen nicht eindeutig festgestellt werden, ob das Forschungsobjekt Teil eines der von Mueller-Herbig erwähnten Konvolute gewesen ist. Hierfür wären ergänzende Quellen wie Geschäftsunterlagen von einem der genannten Händler oder eine entsprechende werkbezogene Aussage in den überlieferten Korrespondenzen notwendig. Als Teil seiner Sammlung präsentiert Buchheim »Stehender Akt« erstmalig in der Ausstellung EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM. ARBEITEN AUF PAPIER, die vom 10. September bis 15. Oktober 1989 im Ulmer Museum veranstaltet wird. Buchheims Erwerb kann somit bis auf Weiteres nur vage auf »vor Herbst 1989« eingegrenzt werden.

Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nicht eindeutig geklärt, es bestehen Provenienzlücken. Die Herkunft muss weiter erforscht werden. Wir danken für weiterführende werkbezogene Hinweise.

JL

26.08.2024

Beschriftungen

rekto u. r. beschriftet (in blauer Kreide, um 180° gedreht): 51
rekto u. r. beschriftet (in blauer Kreide, um 180° gedreht, durchgestrichen): 22
rekto u. r. beschriftet (in schwarzer Kreide, um 180° gedreht, in blauer Kreide durchgestrichen): 20
verso u. l. beschriftet (in Bleistift): 1.00316
verso u. r. betitelt (in Bleistift): »Stehender Akt«
verso u. l. beschriftet (in Bleistift): unverkäuflich
verso u. r. Nass-Stempel (in Schwarz, in Bleistift signiert): O. M. / Nachlass / Prof. Otto Mueller / Breslau Heckel [L.1829d]

Provenienz

1930: Nachlass Otto Mueller
1931–o. D.: Erben des Künstlers
[...]
o. D.: Privatbesitz
o. D.–22.02.2007: Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing
seit 22.02.2007: Buchheim Stiftung, Feldafing/Bernried, erworben im Erbgang von Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und in konkludenter Schenkung von Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing

JL

26.08.2024

Sammlung Buchheim

Ausstellungen

EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM, Haus der Kunst, München, 29.07.1998–18.10.1998

GERMAN EXPRESSIONISM. AN EXHIBITION OF WORKS ON PAPER FROM THE COLLECTION OF LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM, Newport Museum And Art Gallery, Newport, 08.09.1990–03.11.1990

EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM. ARBEITEN AUF PAPIER, Ulmer Museum, Ulm, 10.09.1989–15.10.1989

Literatur

Tanja Pirsig-Marshall, Mario-Andreas von Lüttichau: OTTO MUELLER. CATALOGUE RAISONNÉ, hrsg. v. Markus Eisenbeis für Van Ham Art Publications GmbH, Köln, Leipzig: E. A. Seemann Verlag in der E. A. Seemann Henschel GmbH & Co. KG, 2020, Kat. Nr. P1929/16 (827), Abb. S. 241 r. o.

EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM, hrsg. i. Auftrag der »Freunde des Buchheim-Museums und der Buchheim Stiftung e. V.«, m. Texten von Christoph Vitali, Carla Schulz-Hoffmann, Hans Krieger, Clelia Segieth, Lothar-Günther Buchheim, Ellen Maurer, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, München (29.07.–18.10.1998), Feldafing: Buchheim Verlag, 1998, Kat. Nr. 246 (ohne Abb.)

GERMAN EXPRESSIONISM. AN EXHIBITION OF WORKS ON PAPER FROM THE COLLECTION OF LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM, m. e. Geleitwort v. Baron Hermann von Richthofen, e. Vorwort v. Sandra Jackaman u. Texten v. Martin Gaughan, Nicholas Davey, Ausst.-Kat. Newport Museum and Art Gallery (08.09.–03.11.1990), 1990, Kat. Nr. 71

EXPRESSIONISTEN. SAMMLUNG BUCHHEIM. ARBEITEN AUF PAPIER, Ausst.-Kat. Ulmer Museum, Feldafing: Buchheim Verlag, 1989, Kat. Nr. 168 (ohne Abb.)

Lothar-Günther Buchheim: OTTO MUELLER, Feldafing: Buchheim Verlag, 1968, Abb. S. 53

Weitere Werke