Schleudertanz
Ernst Ludwig Kirchner
1912
Bleistift auf Papier, aus Skizzenbuch herausgetrennt
Bildmaß 21,0 x 17,2 cm
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See
Inventarnummer: 1.06398
Zeichnung, Schwarze Pigmente
Sammlungsbereich:
Arbeiten auf Papier
Künstler/in: Ernst Ludwig Kirchner
Reproduktion: Bildarchiv Buchheim Museum
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Beschreibung
Im Katalog zur Ausstellung UNBEKANNTE SCHÄTZE AUS DER BUCHHEIM'SCHEN EXPRESSIONISTENSAMMLUNG, die vom 08.07. bis 07.10.2012 im Buchheim Museum präsentiert wurde, erläutert die Kuratorin Clelia Segieth die künstlerische Praxis von Ernst Ludwig Kirchner und das Verhältnis zwischen Skizze und »ausgeführten Werken« am Beispiel dieser Zeichnung in Beziehung zu dem Holzschnitt »Schleudertanz«, der 1912 entsteht, und von dem ein Druckexemplar beispielsweise in der Graphischen Sammlung des Städel Museums überliefert ist. Die Ähnlichkeit zwischen der bildnerischen Komposition der Bleistiftzeichnung und dem Holzschnitt ist verblüffend, wobei Kirchner das Paar in dem Holzschnitt mehr in den Bildvordergrund schiebt, das Tanzpaar detaillierter ausgestaltet sowie auch den Bildhintergrund. In der Darstellung als Holzschnitt sind die Gesichter des Paares und die freudig erregten Minen zu sehen, während sich die Tänzerin in der hier vorliegenden Zeichnung von uns weggedreht hat und nur der dunkle Hinterkopf zu erkennen ist. Beide Darstellungen zeigen denselben erotischen Moment, »in dem die Tänzerin durch die Bewegung ihres rechten Beines den Rock hoch schleudert und den Blick freigibt auf ihre dunkel bestrumpften Beine und das spärlich bekleidete Gesäß« , allerdings ist die Szene in unserer Bleistiftzeichnung spiegelverkehrt komponiert. Dies liegt daran, dass es der Künstler genauso in den Holzstock gearbeitet hat, der im Abdruck dann zu einem spiegelverkehrten Ergebnis führt, bei dem das erhobene Bein der Tänzerin links im Bild ist, ihr Po im Bildmittepunkt liegt und das Paar eher rechts im Bild steht.Die Schwierigkeit, die sich für ca. 70 Papierarbeiten von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Forschungsbestand und damit auch für »Schleudertanz« im Laufe des Projektes ergeben hatte, war es, den richtigen Erwerbungskontext durch Buchheim zu identifizieren und damit auch die werkrelevante Herkunft zu rekonstruieren. Dieses und mehrere andere Blätter aus dem Forschungsbestand haben gemeinsam, dass sie alle von Ernst Ludwig Kirchner stammen, undatiert sind, keine Herkunftshinweise wie Nachlass-Stempel aufweisen und entweder einen skizzenhaften Charakter haben oder wie dieses hier sichtbar aus einem Skizzenbuch herausgelöst wurden. Diese objektrelevanten Angaben verweisen auf den Ankauf von mindestens zwei Sammelnummern mit insgesamt ca. 130 Blättern von Ernst Ludwig Kirchner durch Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten im Auktionshaus Kornfeld & Klipstein, die die Recherchen in den in der Privatbibliothek der Eheleute Buchheim überlieferten Auktionskataloge belegen. Wir bedanken uns in diesem Zusammenhang herzlich für die kollegiale Unterstützung durch das Archiv Kornfeld, die uns Buchheims Erwerbung der Sammelnummer 635 in der Auktion 137 am 18.06.1970 »von 30 Blatt Zeichnungen und Skizzen« bestätigte, aber auch seinen Erwerb der Sammelnummer 543 in der Auktion 142 am 10.06.1971 »von ca. 100 Blatt Zeichnungen und Skizzen« . Dokumentationen zu dem genauen Inhalt der Sammelnummern gibt es im Archiv der Galerie Kornfeld nicht. Die jeweils leicht unterschiedlichen Losbeschreibungen haben aber eins gemeinsam: beide Sammelkonvolute stammen gemäß Katalogbeschreibung ehemals aus der Sammlung Lise Gujer aus Davos-Sertig, auch wenn sie nicht als solche durch einen Stempelabdruck gekennzeichnet wurden. Da uns aufgrund fehlender einzelwerkrelevanter Angaben zu den ca. 130 Papierarbeiten keine Werkidentifizierung möglich war, haben wir ausgehend von den Angaben in den Losbeschreibungen die Zeichnungen Kirchners ihrem Motiv, ihrer Darstellungsweise oder ihrer Größe nach einem oder alternativ beiden Erwerbungsmomenten und damit Sammelnummern zugeordnet. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Buchheim die eine oder andere Zeichnung Kirchners, die die erwähnten Charakteristika aufweist, in einem völlig anderen Kontext erworben hat, wurden die entsprechenden Provenienzangaben, wie auch bei dieser Zeichnung, mit einem »vermutlich« versehen.
Die Losbeschreibung von Nr. 635 aus der Auktion 137 korrespondiert aufgrund der Datierungsangabe, dass es sich um »30 Blatt Zeichnungen und Skizzen in versch. Techniken und leicht differierenden Formaten, meist etwa 25:20 cm. 30 Blatt Zeichnungen aus der Dresdner und Berliner Zeit mit zum Teil ausgeführten Blättern« , mit dem Entstehungsjahr dieser Zeichnung, die von Clelia Segieth aufgrund der sichtbar kompositorischen Beziehung zu dem Holzschnitt »Schleudertanz« auf 1912 datiert wurde. Auch der Bildtitel wurde aufgrund dieser Werkbeziehung übernommen.
Selbst wenn Buchheim die Zeichnung nicht in der Auktion 137, sondern ein Jahr später in der Auktion 142 erworben haben sollte, bleibt die Herkunft und damit die Provenienzkette vor Erwerbungszeitpunkt identisch: Lise Gujer (1893–1967) erwirbt die Papierarbeit aus Künstlerbesitz oder aus dem Nachlass Kirchners. Zu der Entstehung der Sammlung Lise Gujer wurde eine separate Chronologie verfasst.
Aufgrund dessen, dass die Zuordnung dieser Papierarbeit zu dem geschilderten Erwerbungszeitpunkt ohne konkrete werkbezogene Primärquelle rekonstruiert wurde und somit im Ergebnis nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Herkunft eine andere als die vermutete ist, schließen die Recherchen, ohne dass die Provenienz für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 eindeutig geklärt werden konnte. Möglicherweise bestehen Provenienzlücken. Die Herkunft muss bei Gelegenheit weiter erforscht werden.
JL
23.09.2024
Beschriftungen
keine Aufschriften, Stempel oder EtikettenProvenienz
spät. 1946–1967: vmtl. Lise Gujer (1893–1967), Davos-Sertig, erworben aus Künstlerbesitz oder aus Nachlass Kirchner1967–18.06.1970: vmtl. Erben Gujer, Schweiz
18.06.1970: Kornfeld & Klipstein, Bern, Auktion 137, vmtl. Nr. 635 Teil von Sammelkonvolut (Werkzuordnung zum Konvolut ungesichert, aber aufgrund von Motiv wahrscheinlich), eingeliefert von vmtl. Erben Gujer
vmtl. 18.06.1970/spät. 2004–08.03.2014: Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing
seit 08.03.2014: Buchheim Stiftung, Feldafing/Bernried, erworben im Erbgang von Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing
JL
23.09.2024
Sammlung Buchheim
Sammlung Lise Gujer
Literatur
UNBEKANNTE SCHÄTZE AUS DER BUCHHEIM'SCHEN EXPRESSIONISTENSAMMLUNG, hrsg. v. Clelia Segieth, Ausst.-Kat. Buchheim Museum, Bernried (08.07–07.10.2012), Feldafing: Buchheim Verlag, 2012, Kat. Nr. 30, Abb. S. 14, Erw. S. 67AUKTION 137, MODERNE KUNST DES NEUNZEHNTEN UND ZWANZIGSTEN JAHRHUNDERTS. SAMMLUNG G.B.Z., H. VON H., L. K. UND WEITERE SAMMLUNGEN UND BESTÄNDE AUS VERSCHIEDENEN SCHWEIZERISCHEN UND AUSLÄNDISCHEN PRIVATSAMMLUNGEN, Kornfeld & Klipstein, Bern (17.–19.06.1970), Kat. Nr. vmtl. 635
Weitere Werke
- Nackter mit Bumerang, 1910
- Herbstzeitlose, 1917
- Drahtseilakrobaten, 1909/10
- Drei Wege, Stafelalp, 1917
- Plakat der Ausstellung »Graphik von E. L. Kirchner«, Galerie Aktuaryus Zürich, 1927
- Studie, 1914
- Mädchenakt im Atelier, 1909
- Im Varieté, o. J.
- Japanische Akrobaten, 1911
- DER STURM; WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE, hrsg. v. Herwarth Walden, 2. Jg., H. 93, limitierte Ausgabe, 01/1912