Sammlung Lise Gujer



Foto: Yolande Custer, nach 1943; Kirchner Museum Davos


Lise Gujer wird als Tochter von Rudolf Gujer, einem Fellhändler und Politiker, und seiner Frau Elise Gujer-Müller am 06.12.1893 in Zürich geboren. Ab 1915 wohnt sie in Davos-Clavadel in späterer räumlicher Nähe zu Ernst Ludwig Kirchner, der 1917 aufgrund körperlicher und psychischer Leiden Berlin verlässt und in die Schweizer Berge zieht. Spätestens 1922 lernt die Weberin den Künstler und seine Lebensgefährtin Erna Schilling (1884–1945) kennen, eine Freundschaft entwickelt sich. Ab 1923 ist eine Zusammenarbeit von Kirchner und Gujer dokumentiert, dabei setzt Gujer Kirchners Entwürfe als Wirkereien um.
Nachdem Kirchner 1938 Suizid begeht, gehen die noch im Davoser Wildbodenhaus verbliebenen Kunstobjekt durch Erbschaft in das Eigentum der Nachfahren Kirchner über, auch wenn zwei unterschiedliche Testamente, die sich teilweise widersprechen, für Klärungsbedarf sorgen. Am 22.09.1938 einigen sich die drei Erben, Kirchners Lebensgefährtin Erna und seine beiden Brüder Hans Walter Kirchner (1882–1954) und Ulrich Kirchner (1888–1950) im Davoser Kreisamt: Erna wird als alleinige Verwalterin des Nachlasses bestimmt. Sie erhält eine Hälfte des Nachlasses, die beiden Brüder gemeinsam die andere Hälfte.
Schilling, die weiterhin im Haus auf dem Wildboden in Davos wohnt, hält nach Kirchners Tod engen Kontakt zu ihren Nachbarn und wird unter anderem von Gujer durch Ankäufe aus dem Nachlass finanziell unterstützt. Nachdem Gujer gemeinsam mit ihren Geschwistern 1942 im Sertigtal das alte Bauernhaus »Gruoba« erwirbt, einigt sie sich mit Erna auf die Übernahme eines großen Teils des von Kirchner entworfenen und gebauten Mobiliars aus dem Wildbodenhaus. Weiterhin erwirbt sie Kirchners Tagebuch, mehrere Skizzenbüchern, ganze Konvolute von kleinen Zeichnungen aus Skizzenbüchern und persönliche Dokumente und Korrespondenz, unter denen sich auch alle erhaltenen Briefe und Postkarten Kirchners an Erna befinden. Nach Ernas Tod 1945 kommen weitere Werke dazu wie u. a. ein großer Spiegelrahmen.
Gujer verstirbt am 13.03.1967 in Davos. Die Sammlung Gujer wird nach Erbteilung ab 15.06.1968 aufgrund ihres Umfangs sukzessive vom Auktionshaus Kornfeld & Klipstein in Bern zur Auktion gebracht, darunter befinden sich auch mehrere Sammellose bzw. Konvolute, die nicht werkbezogen dokumentiert sind. In dieser Auktion erwirbt Lothar-Günther Buchheim die Kreidezeichnung »Badende« von 1908 (Inv. 1.00198). Auf dieser Arbeit befindet sich kein Nachlass-Stempel von Gujer, wohingegen sich auf anderen Papierarbeiten aus dem Sammlungsbestand des Buchheim Museums, die ebenfalls aus der Sammlung Lise Gujer stammen und verso mit einem einem entsprechenden Stempelabdruck versehen sind, wie z. B. die Kreidezeichnung »Dresdner Landschaft« (Inv. 1.00281), »Kokotten« (Inv. 1.00283), »Männerakt mit afrikanischem Tisch« (Inv. 1.00284). Diesbezüglich bestätigte das Archiv der Galerie Kornfeld jedoch dankenswerterweise, dass die in der Juni-Auktion 1968 aus dem Nachlass Gujer zum Verkauf angebotenen Kunstwerke noch nicht mit einem Nachlass-Stempel versehen waren. Weiterhin bestätigte das Archiv, dass es außerhalb der Auktion aus dem Nachlass Gujer keine Veräußerungen aus der Sammlung Gujer gegeben habe. Wir bedanken uns sehr für die ergänzenden Informationen.

JL

26.09.2023

Literatur

ERNST LUDWIG KIRCHNER. SAMMLUNG LISE GUJER UND BEITRÄGE AUS ANDEREM BESITZ. AUKTION 131, Kornfeld & Klipstein, Bern (15.06.1968)

Eberhanrd W. Kornfeld: TEXTILARBEITEN NACH ENTWÜRFEN VON E. L. KIRCHNER DER DAVOSER JAHRE. I WIRKEREIEN VON LISE GUJER, II KUNSTGEWERBLICHE STICKEREIEN. WERKVERZEICHNIS, Bern: Verlag Galerie Kornfeld, 1999

BILDTEPPICHE VON ERNST LUDWIG KIRCHNER UND LISE GUJER: WERKKATALOG DER ENTWÜRFE, hrsg. v. Beat Stutzer, m. e. Text v. Mechthild Flury-Lemberg, Ausst.-Kat. Bündner Kunstmuseum, Chur (07.02–22.03.2009), Zürich: Scheidegger & Spiess, 2009

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