Kauerndes Mädchen

Beschreibung

Ernst Ludwig Kirchner fertigt diese Zeichnung eines »kauernden Mädchens« mit Feder in schwarzer Tusche an. Das Mädchen ist im Profil dargestellt. Es hockt seitlich nach rechts gedreht mit vorgelehntem Oberkörper nackt vor einem großen Kissen. Seine beiden Hände hat es vor sich auf den Boden gestützt und den Blick zu Boden gerichtet. Die langen dunklen Haare fallen glatt über den Rücken. Es dürfte sich bei dem Mädchen um das Modell Franziska Fehrmann (1900–1950), genannt »Fränzi«, handeln, das nicht nur Kirchner, sondern auch seinem »Brücke«-Künstlerkollegen Erich Heckel (1883–1970) inspirierte und als Modell für Werke verschiedener Technik ab 1909 diente.

Die Herkunft der Zeichnung ist durch eine persönliche Widmung von Kirchner an seinen behandelnden Arzt und Kunstsammler, Dr. Frédéric Bauer (1883–1957), am unteren Blattrand gesichert überliefert. Sie belegt, dass die Arbeit ein Geschenk des Künstlers an Bauer war und so in dessen Eigentum übergegangen sein muss. Die der Widmung angeschlossene Datierung »07–08« dürfte separat hinzugefügt worden sein. Es ist eine unterschiedliche Dicke des Bleistiftes sichtbar. Der Zeitpunkt für die Anbringung dieser Beschriftung ist nicht bekannt. Es dürfte sich aufgrund der Motiv- bzw. Modellnutzung von Fränzi jedoch nicht um den hier scheinbar dokumentierten Entstehungszeitraum handeln, da dieser aufgrund der dokumentierten Datierung der Bekanntschaft von Künstler und Modell ab 1909 erst nach 1907/08 anzusetzen ist. Ob die hier befindliche Vordatierung von Kirchner stammt, konnte im Rahmen des Forschungsprojektes zur Provenienzforschung nicht geprüft werden. Es ist jedoch belegt, dass Kirchner seine Bestände erst dann signierte und datierte, wenn er diese verkaufte oder verschenkte. Dabei datierte er Arbeiten häufiger auch vor. Kirchner lernte Bauer um 1922 kennen, nachdem dieser ihn als Patient von Dr. Lucius Spengler (1858–1923) übernommen hatte. Laut den Recherchen des Kunsthistorikers Roland Scotti erwarb Bauer den Großteil seiner Sammlung bis 1932.

Nach dem jetzigen Forschungsstand befinden sich heute zehn Papierarbeiten aus dem Voreigentum Bauers im Sammlungsbestand des Buchheim Museums (vgl. u. a. Inv. 1.00229a/b, Inv. 1.00251). Durch einen Brief von Bauer an die Theaterschaffende und Malerin Georgette Boner (1903–1998) ist belegt, dass dieser ab 1952 Verkaufsabsichten für seine Kirchner-Sammlung hegte, die sowohl Druckgrafik, Papierarbeiten, Gemälde und Skulpturen von Ernst Ludwig Kirchner beinhaltete. Sukzessive bietet Roman Norbert Ketterer Werke aus Bauers Sammlung ab November 1953 in mehreren Auktionen zum Verkauf an. Lothar-Günther Buchheim erwirbt diese Zeichnung als Los-Nr. 1356 in der 20. Auktion am 25.11.1954 mit dem im Katalog dokumentierten Titel »Hockender weiblicher Akt« zusammen mit einer weiteren Kirchner-Zeichnung aus der Sammlung Bauer, »Pferde mit Lastfuhre« (Inv. 1.00167). Im Auktionskatalog wird auf Frédéric Bauer als Voreigentümer durch eine Literaturreferenz zu der Ausstellung ERNST LUDWIG KIRCHNER. GEMÄLDE UND GRAPHIK DER SAMMLUNG DR. F. BAUER, DAVOS, die im Haus der Kunst in München vom 25.10. bis 14.12.1952 veranstaltet wurde, hingewiesen. Dort ist die Federzeichnung als Kat.-Nr. 71 ohne Abbildung dokumentiert.

Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 rekonstruierbar und unbedenklich. Sie schließt einen NS-verfolgungsbedingten Hintergrund aus, die Provenienz ist lückenlos, eine weitere Überprüfung ist nicht notwendig.

JL

16.08.2023