Straßenszene

Ernst Ludwig Kirchner

1914

Bleistift und Farbstift auf Papier, aus Skizzenbuch herausgetrennt

Bildmaß 20,4 x 16,3 cm


Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See


Inventarnummer: 1.00282

Zeichnung, Schwarze Pigmente, Farbige Pigmente


Sammlungsbereich: Arbeiten auf Papier

Künstler/in: Ernst Ludwig Kirchner


Reproduktion: Bildarchiv Buchheim Museum
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Beschreibung

In dieser Zeichnung beschäftigt sich Ernst Ludwig Kirchner wie so oft in dieser Zeit mit der Darstellung des städtischen Lebens, dem Gewimmel und Gedränge von fein gekleideten Menschen in der Großstadt Berlin. Optisch sticht eine Dame zwischen Herren mit hohen Hüten heraus. Im Gegensatz zu den blau kolorierten Mänteln der Männer ist bei ihrer Figur die Kleidung im Papierton belassen. Anhand des städtischen Motivs lässt sich die Darstellung auf Kirchners Berliner Zeit, genauer 1914, datieren. Deutlich ist anhand der unterschiedlichen Blattkanten und -ecken sowie der leichten Beschädigung zu erkennen, dass es sich um eine linke Seite aus einem Skizzenbuch handelt. Eine »Rückordnung« dieser Zeichnung in eines von Kirchners vielen Skizzenbüchern und damit auch eine verbindliche Datierung des Entstehungsjahres will Gerd Presler, Autor der Publikation ERNST LUDWIG KIRCHNER. DIE SKIZZENBÜCHER. »EKSTASE DES ERSTEN SEHENS«, auf unsere Bitte hin versuchen. Wir danken ihm außerdem für die kollegiale Hilfe in Bezug auf die Bestätigung der Handschrift der umseitig teilweise ausradiert überlieferten Bleistiftbeschriftung »W[...] / E. L. Kirchner« als »wohl [von] Erna Schilling«, Kirchners Lebensgefährtin und Teilerbin des Nachlasses.

Die Schwierigkeit, die sich für ca. 70 Papierarbeiten von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Forschungsbestand und damit auch für die hier recherchierte »Straßenszene« im Laufe des Projektes ergeben hatte, war es, den richtigen Erwerbungskontext durch Buchheim zu identifizieren und damit auch die werkrelevante Herkunft zu rekonstruieren. Dieses und mehrere andere Blätter aus dem Forschungsbestand haben gemeinsam, dass sie alle von Ernst Ludwig Kirchner stammen, undatiert sind, keine Herkunftshinweise wie Nachlass-Stempel aufweisen und entweder einen skizzenhaften Charakter haben oder wie dieses hier sichtbar aus einem Skizzenbuch herausgelöst wurden. Diese objektrelevanten Angaben verweisen auf den Ankauf von mindestens zwei Sammelnummern mit insgesamt ca. 130 Blättern von Ernst Ludwig Kirchner durch Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten im Auktionshaus Kornfeld & Klipstein, die die Recherchen in den in der Privatbibliothek der Eheleute Buchheim überlieferten Auktionskataloge belegen. Wir bedanken uns in diesem Zusammenhang herzlich für die kollegiale Unterstützung durch das Archiv Kornfeld, die uns Buchheims Erwerbung der Sammelnummer 635 in der Auktion 137 am 18.06.1970 »von 30 Blatt Zeichnungen und Skizzen« bestätigte, aber auch seinen Erwerb der Sammelnummer 534 in der Auktion 142 am 10.06.1971 »von ca. 100 Blatt Zeichnungen und Skizzen« . Dokumentationen zu dem genauen Inhalt der Sammelnummern gibt es im Archiv der Galerie Kornfeld nicht. Die jeweils leicht unterschiedlichen Losbeschreibungen haben aber eins gemeinsam: beide Sammelkonvolute stammen ehemals aus der Sammlung Lise Gujer aus Davos-Sertig, auch wenn sie nicht als solche durch einen Stempelabdruck gekennzeichnet wurden. Da uns aufgrund fehlender einzelwerkrelevanter Angaben zu den ca. 130 Papierarbeiten keine Werkidentifizierung möglich war, haben wir ausgehend von den Angaben in den Losbeschreibungen die Zeichnungen Kirchners ihrem Motiv, ihrer Darstellungsweise oder ihrer Größe nach einem oder alternativ beiden Erwerbungsmomenten und damit Sammelnummern zugeordnet. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Buchheim die eine oder andere Zeichnung Kirchners, die die erwähnten Charakteristika aufweist, in einem völlig anderen Kontext erworben hat, wurden die entsprechenden Provenienzangaben, wie auch bei dieser Zeichnung, mit einem »vermutlich« oder sogar »eventuell« versehen.

Die Losbeschreibung von Nr. 635 aus der Auktion 137 korrespondiert eher und sogar recht eindeutig mit dem Darstellungsthema einer Berliner Straßenszene und der fertigen, sogar kolorierten Ausführung dieser Zeichnung. Gemäß Katalogtext umfasst die Sammelnummer nämlich: »30 Blatt Zeichnungen und Skizzen in versch. Techniken und leicht differierenden Formaten, meist etwa 25:20 cm. 30 Blatt Zeichnungen aus der Dresdner und Berliner Zeit mit zum Teil ausgeführten Blättern.« Die Frage, die sich die ehemalige Kuratorin des Buchheim Museums, Clelia Segieth, im Zusammenhang mit der vom 08.07. bis 07.10.2012 im Buchheim Museum gezeigten Ausstellung UNBEKANNTE SCHÄTZE AUS DER BUCHHEIM'SCHEN EXPRESSIONISTENSAMMLUNG stellte, war nun, ob diese Papierarbeit und die sehr ähnliche Tuschpinselzeichnung von Ernst Ludwig Kirchner, »Straßenszene«, 1914 (Inv. 1.000228a) »durch Zufall in der Sammlung vereint worden sind, oder ob Buchheim das Zeichnungskonvolut aus dem Nachlass von Lise Gujer, das bei Kornfeld & Klipstein versteigert wurde, womöglich auch deshalb erwarb, weil sie dieses Skizzenblatt enthielt und er das Sujet der Tuschpinselzeichnung [Anmerkung der Autorin: gemeint ist Inv. 1.00228a] im Kopf hatte? […] Aus dem Hause Buchheim war dazu, wie zur Provenienz der Skizzensammlung, leider nichts zu erfahren.«

Selbst wenn Buchheim die Zeichnung nicht in der Auktion 137, sondern ein Jahr später in der Auktion 142 erworben haben sollte, bleibt die Herkunft und damit die Provenienzkette vor Erwerbungszeitpunkt identisch: Lise Gujer (1893–1967) erwirbt die Papierarbeit aus Künstlerbesitz oder aus dem Nachlass Kirchners. Zu der Entstehung der Sammlung Lise Gujer wurde eine separate Chronologie verfasst. Sollte schon Clelia Segieth fälschlicherweise davon ausgegangen sein, dass dieses Blatt Teil eines Skizzenkonvoluts gewesen sei, also mit allen anderen skizzenhaften Blättern aus einer einheitlichen Herkunftsquelle stammt, so wäre die Provenienz ungeklärt. Da es jedoch keinerlei Anhaltspunkte für einen anderweitigen Erwerb gibt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Blatt zu den ehemals 130 Blättern aus dem Nachlass von Lise Gujer gehört haben könnte.

Aufgrund dessen, dass die Zuordnung zu dem geschilderten Erwerbungszeitpunkt ohne konkrete werkbezogene Primärquelle rekonstruiert wurde und somit im Ergebnis nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Herkunft eine andere als die vermutete ist, schließen die Recherchen ohne, dass die Provenienz für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 eindeutig geklärt werden konnte. Möglicherweise bestehen Provenienzlücken. Die Herkunft muss bei Gelegenheit weiter erforscht werden.

JL

02.09.2024

Beschriftungen

verso o. l. beschriftet (in Bleistift, tlw. ausradiert, wohl von Erna Schilling): W[...] / E. L. Kirchner
verso u. l. beschriftet (in Bleistift): 1.00282
verso u. r. beschriftet (in Bleistift): 9

Provenienz

spät. 1946–1967: vmtl. Lise Gujer (1893–1967), Davos-Sertig, erworben aus Künstlerbesitz oder aus Nachlass Kirchner
1967–18.06.1970: vmtl. Erben Gujer
18.06.1970: Kornfeld & Klipstein, Bern, Auktion 137, vmtl. Nr. 635 Teil von Sammelkonvolut (Werkzuordnung zum Konvolut ungesichert, aber aufgrund von Motiv wahrscheinlich), eingeliefert von vmtl. Erben Gujer
vmtl. 18.06.1970/spät. 2012–08.03.2014: Lothar-Günther Buchheim (1922–2014) und Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing, erworben vmtl. bei Kornfeld & Klipstein, Bern, Auktion 137
seit 08.03.2014: Buchheim Stiftung, Feldafing/Bernried, erworben im Erbgang von Diethild Buchheim (1922–2014), Feldafing

JL

02.09.2024

Sammlung Buchheim
Sammlung Lise Gujer

Literatur

UNBEKANNTE SCHÄTZE AUS DER BUCHHEIM'SCHEN EXPRESSIONISTENSAMMLUNG, hrsg. v. Clelia Segieth, Ausst.-Kat. Buchheim Museum, Bernried (08.07–07.10.2012), Feldafing: Buchheim Verlag, 2012, Kat. Nr. 35, Abb. S. 4; 54, Erw. S. 67

AUKTION 137, MODERNE KUNST DES NEUNZEHNTEN UND ZWANZIGSTEN JAHRHUNDERTS. SAMMLUNG G.B.Z., H. VON H., L. K. UND WEITERE SAMMLUNGEN UND BESTÄNDE AUS VERSCHIEDENEN SCHWEIZERISCHEN UND AUSLÄNDISCHEN PRIVATSAMMLUNGEN, Kornfeld & Klipstein, Bern (17.–19.06.1970), Kat. Nr. evtl. 635

Weitere Werke